Monat: Oktober 2023

Oper, Gottesdienst und Hochkultur

Mein erster Opernbesuch ist ewig her. Das war Mitte der siebziger. Ich bin noch zur Schule gegangen. Ich habe mich in meinen Anzug gezwängt, meine einzige Krawatte umgebunden und bin ins Staatstheater gegangen. Doch trotz Anzug und Krawatte – ich hab mich fremd gefühlt. In der Pause hab ich mit meinen Kumpels verunsichert am Rand gestanden.Oper, das war was für die bessere Gesellschaft, Hochkultur. 
Von einem Opernfreund habe ich nun gehört: 
„Das ist längst vorbei. Die Intellektuellen, die Schönen und Reichen, die gehen da nicht mehr hin. 
In die Oper gehen vor allem Liebhaber: die einen im Anzug, die anderen in Jeans und Turnschuhen. Die Kleidung spielt schon lange keine Rolle mehr.“

„Nein“ sagt er,, „die Oper ist keine Hochkultur. Sie ist Subkultur. Es ist da wunderschön. Du tauchst in eine ganz andere Welt ein. Aber da gehen nur noch Freaks hin, Liebhaber.“ 
Mir ist die Welt der Oper leider fremd geblieben – aber ich ahne ihren Zauber.
Mit unseren Gottesdiensten geht es vielen so wie mir mit der Oper: eine fremde Welt, Subkultur, etwas für Freaks, für Liebhaber.
Aber auch im Gottesdienst tauchen wir in eine andere Welt ein: Wir singen. Wir beten. Wir gehen in die Stille. 

Israel

Ein Kind wird geboren; unter elenden Bedingungen, umgeben von Gleichgültigkeit und Feindschaft. Die Eltern landen in einem Stall im heute palästinensischen Bethlehem. Das ist die Geburtsstunde des christlichen Glaubens. 
Aber es ist nicht die Geburtsstunde von Hass und Wut, sondern von tiefer Menschlichkeit. Der Mann aus Nazareth wird immer wieder angefeindet, verleumdet, gedemütigt und verfolgt. Aber er öffnet sein Herz für alle Menschen: für den Gelähmten aus seinem eigenen Volk, für den römischen Besatzer und für die ausländische Frau. 
Und wie immer jeder und jede von uns das versteht, dahinter steht der Glaube: 
Gott ist Mensch geworden, keine Idee, kein politisches System, keine Weltformel, sondern ein kleines, verletzliches, bedrohtes Menschenkind. Und weiter gedacht bedeutet das für mich: Gott wird immer wieder Mensch: in jedem Kind, das das Licht der Welt erblickt. Und Gott bleibt Mensch in jedem Mordopfer im Kibbuz, in jedem Jugendlichen, wehrlos erschossen auf dem Festival in der Negev, in jedem alten und kranken Menschen, verschleppt als Geisel in den Gazastreifen. Ja, Gott ist und bleibt auch Mensch in all denen, die nun im Gazastreifen um ihr Leben fürchten, die sich ängstigen um ihre Mütter und Väter, um ihre Söhne und Töchter.
Aber er ist ganz sicher nicht Mensch in denen, die dieses Massaker angerichtet haben, die für dieses unendliche Leid verantwortlich sind und auch nicht in denen, die das beklatschen. Die Mörder und ihre Schergen haben den Glauben an den menschlichen Gott, an das Göttliche im Menschen, verraten. 

Der Bergdoktor

Ich liebe Schnulzen.
Gut, es muss nicht gerade Rosamunde sein, aber den Bergdoktor, den mag ich. Ich freue mich schon auf die nächste Staffel.
Was gefällt mir so an Martin Gruber, dem Bergdoktor?
Er lebt ein bisschen so, wie ich das immer wollte. Klar, er hat reichlich Probleme: mit seinem Bruder und seiner Tochter, dem Hof, mit den Frauen und natürlich auch mit seinen Patientinnen und Patienten. 
Aber: Er nimmt sich Zeit. 
Martin Gruber ist immer da, wenn er gebraucht wird. Er fährt mit der Patientin ins Krankenhaus, berät sich mit den Kolleginnen und Kollegen. Hört zu. Operiert auch selbst, wenn es sein muss. 
Kurz und gut: Er ist mit Leib und Seele dabei. 
Natürlich weiß ich dass das ein Märchen ist. Sein Wartezimmer ist leer, er hat immer nur eine Patientin oder einen Patienten. 
Die Realität unserer Ärztinnen und Ärzte sieht ganz anders aus. 
Aber der Bergdoktor erinnert mich an meine Ideale: 
Ja, ich will in einer guten Gemeinschaft leben, ich will Zeit haben für die Menschen, die Gott mir anvertraut. 
Und ich freue mich immer, wenn es mir gelingt:
Wenn ich in einem Gespräch die Zeit vergesse; wenn ich das Gefühl habe, einem Menschen zu helfen.
Nicht Bergdoktor, aber Bergpastor, das wär ich schon gern…

Glück oder: Du musst nicht alles schaffen

Es gibt unzählige Ratgeber für ein besseres Leben.
Und es ist immer dasselbe:
„Du schaffst deine Arbeit nicht? Wirst nie fertig? Du hast abends immer das Gefühl, du hast nichts geschafft?
Ja dann hast du noch nicht die richtige Technik drauf. Lies unseren Ratgeber, dann hast du bald abends alle deine To do Listen abgebarbeitet, alles ist erledigt und du kannst ganz zufrieden das Leben feiern.“ 
Darf ich wirklich erst feiern und zufrieden sein, wenn ich alles erledigt habe?
Wann soll das sein?
Das ist so, als ob ich mit Vollgas über die Autobahn rase und mir sage: Erst wenn ich den letzten überholt habe, nehme ich den Fuß vom Gas.
Ich habe nie alles erledigt und das kann auch nicht der Sinn meines Lebens sein. 
Aber mich überbekommt natürlich auch immer wieder diese Hektik: 
„Du musst alles schaffen, dann wird dein Leben gut.“ 
An guten Tagen hilft mir dann an einen Satz von Jesus:
„Sorgt euch nicht. Seht die Vögel unterm Himmel. Sie sähen nicht, sie ernten nicht und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“

Wenn ich dann noch einen Bussard am Himmel kreisen sehe, dann denke ich: 
Er wartet auch nicht, bis er alles erledigt hat. 
Vielleicht fliegt er heute ja einfach mal so – auch aus purer Lust am Leben.

Du wirst ein Segen sein

Woran kann ich erkennen, dass mein Leben gut und erfolgreich ist?  
Wann ist mein Leben gesegnet?
Wenn ein Pastor in den Ruhestand geht, dann wird er in einem Gottesdienst verabschiedet und bekommt von guten Freundinnen und Freunden noch einen Segenswunsch mit auf den Weg. Als es bei mir diesen Juni so weit war, hat mein Freund Ralph mir einen besonderen Segen mitgegeben. In der Bibel wird er Abraham zugesprochen, einem alten Mann auf dem Weg in die Fremde – und irgendwie ist für mich der Ruhestand auch so eine fremde Welt. Ich weiß nicht so genau, was auf mich zukommt. 
Ralphs Segenswunsch lautet: „Ich will dich segnen und du wirst ein Segen sein.“
Und es stimmt: Wenn ich für andere ein Segen bin, wenn ich ihnen guttue, dann bin ich glücklich – gesegnet. 
Kann sein, dass du im Lotto gewinnst; kann sein, dass du viel freie Zeit geschenkt bekommst; dann hast du noch lange kein ein gutes, glückliches, gesegnetes Leben. 
Es kommt darauf an, was du daraus machst, für dich und für deine Mitmenschen.
Das wünsche ich Ihnen für diesen Tag: 
Sein Sie ein Segen für Ihre Lieben – und für die anderen auch.

Warum ich Christ bin

Noch einmal Gerhard Meier:
Der Schweizer Schriftsteller hat seinen Glauben in drei Sätzen formuliert:
Der erste lautet:

„Ich mag das Haschen nach Wind.“
Ich mag es auch, das Haschen nach Wind:
Ich höre sein Rauschen in den Pappeln. Ich weiß nicht, woher er kommt und wohin er geht. Ich werde ihn nie zu fassen kriegen. Aber ich höre ihm gern zu: wie er brüllt, wie er rauscht, wie er säuselt.

Als Christ darf ich arm sein und schwach“,
so lautet der zweite Glaubenssatz von Autor Gerhard Meier:
Er hat seinen gut bezahlten Beruf als Ingenieur aufgegeben. Er wollte von nun an nur noch eins: schreiben. Seine Frau Dorli hat als Kioskverkäuferin gearbeitet, von diesem Geld haben sie jahrelang gelebt, mehr schlecht als recht.
Mach dich arm, mach dich schwach für das, was zählt in deinem Leben. Für Gerhard Meier ist es das Schreiben gewesen. 

Sein dritter Glaubenssatz lautet:
„Als Christ darf ich wissen, dass wir Vertriebene sind – aber heimfinden.“ 
Nein, ich lebe nicht im Paradies. Aber ich finde seine Spuren: in den Blumen im Garten, in der Schönheit der Schöpfung und in der Liebe der Menschen, die mir nahestehen. Manchmal, für einen Moment, führen sie mich zurück ins Paradies.