Monat: Februar 2018

Wenn es einen Gott gibt…

„Es gibt keinen Gott!“ sagt er wütend. „Der hätte den Menschen nie geschaffen! Der Mensch ist der reinste Pfusch! Macht alles kaputt!“
Ich muss lachen.
„Warum lachst du?“ fragt er, noch wütender.
Ich zeige hinter ihn: da kommt die kleine Anna um die Ecke gewackelt. Anna ist gut eineinhalb Jahre alt. Jetzt läuft sie fröhlich juchzend auf ihren Opa zu. Der strahlt über das ganze Gesicht und breitet die Arme aus.
„Pfusch?“ frage ich.
„Nein! Anna ist perfekt! Ein Wunder! Aber das meine ich auch nicht…“
Ich weiß, was er meint.
Er redet, wie wir alle gern reden. Er redet von „dem Menschen.“ Und „der Mensch“ ist von übel, der macht alles kaputt.
Doch „den Menschen“ gibt es nicht.
Es gibt nur viele liebenswerte Menschen, wie die kleine Anna und ihren Opa.
Und Gott, der Schöpfer?
Ich glaube nicht an einen Alleskönner Gott, an einen der an sieben Tagen die perfekte Welt geschaffen hat und fertig.
Nein, perfekt ist diese Welt wahrlich nicht. Aber wunderschön.
Louis Armstrong hat diese Schönheit besungen.
Auf Deutsch klingt das so:
Ich sehe Bäume so grün,
rote Rosen blühn,
sie öffnen sich
für dich und für mich.
Und ich denk bei mir selbst:
Gott, wie schön ist die Welt.

Ich sehe den Himmel tiefblau
und Wolken schneeweiß
ein ganz neuer Tag,
die Nacht ist vorbei
und ich denk bei mir selbst:
Gott wie schön ist die Welt.

Die Farben des Regenbogens
stehen am Himmel, wunderschön,
und leuchten in den Gesichtern der Menschen,
die vorübergehen.
Freunde schütteln die Hand,sagen: „Wie geht es dir?“
doch eigentlich ist gemeint:
„Ich mag dich so sehr.“
Und ich denk bei mir selbst:
Gott wie schön ist die Welt.

Ich höre Babys schreien,
sehe wie sie gedeihen.
Sie wissen viel mehr
Als man mich je  gelehrt
Und ich denk bei mir selbst:

Gott wie schön ist die Welt.

 

Ja, die Welt ist wunderschön.
Aber was ist mit dem Leid? Mit der geschundenen Natur?
Ich glaube: Gott ist die Liebe. Diese Liebe leidet mit jedem Spatz, der kein Platz mehr für sein Nest findet, weil wir alles zugepflastert haben und die Liebe breitet die Arme aus für jedes Baby, das in die Welt kommt, obwohl wir schon viel zu viele sind.

 

Das innere Gesetz

Freies Wochenende! Wir sind Hamburg. Wir haben Glück! Das erste richtig schöne Wochenende im Jahr! Die Sonne strahlt, es ist schon richtig warm. Wir machen uns auf den Weg an den Elbstrand. Eine tolle Idee – nur leider sind wir nicht die einzigen, die sie hatten. Es ist rappelvoll. Egal.
Schiffe kucken, Menschen kucken, die Sonne genießen. Alles ist gut. Die Schlange am Getränkestand ist zwar irre lang, aber es dauert dann doch nicht so lange.
Doch dann bekomme ich Hunger. Der Duft vom Pizzabäcker ist aber auch zu verführerisch.
Vergiss es. In der irre langen Schlange geht es mal gar nicht voran. Da läuft ein Verkäufer mit einer Pizzaschachtel über den Strand: „Pizza Salami mit extra Champignons! Pizza Salami mit Champignons!“ Es dauert eine ganze Weile, bis jemand die Hand hebt und „Hier!“ ruft.
Ich verstehe: Die haben hier ein spezielles System: Du bestellst und bezahlst – und wenn deine Pizza fertig ist, wird sie ausgerufen.
„Pizza Hawaii!“ schon ist der Ausrufer wieder unterwegs. „Hallo! Pizza Hawai!“
Keiner meldet sich. Mein Magen knurrt. Meine Nachbarin grinst mich an. Wir haben den selben Gedanken: „Wenn ich jetzt einfach mal die Hand hebe…“ sage ich.
„Ananas auf der Pizza ist nicht so meins“ sagt sie lachend. Stimmt. Brauche ich auch nicht.
„Pizza Vier Jahreszeiten!“ Das wäre schon eher was. Dann kommt Frutti die Mare, – sehr, sehr lecker. Uns läuft das Wasser im Munde zusammen. Es wäre so einfach an eine Pizza zu kommen – und dann noch ganz umsonst: einfach die Hand heben. Aber wir tun es nicht. Und wir sind sicher nicht die einzigen mit dieser Idee. Klar, es geschieht viel Böses auf der Welt. Doch wenn ich mir klarmache, ich bin einer von 80 Millionen – dann läuft es doch sehr gut in unserem Land.
Paulus schreibt, das liegt daran, dass jeder Mensch tief im Innern weiß, was gut und was böse ist. Es ist uns ins Herz geschrieben.
Wir sind dann in die Stadt gefahren und hatten eine sehr leckere Pizza in der besten Pizzeria der Welt.

Vom Beten

Ich steh an der Ampel.
Die Autos rauschen vorbei. Ich drücke auf den großen gelben Schalter, der ist ja extra für uns Fußgänger da angebracht. Ich warte einen Moment. Nichts passiert. Drücke noch mal. Wieder nichts. Drücke dreimal hintereinander. Die Ampel bleibt rot.
Wussten Sie das? An den großen Einfallstraßen haben diese gelben Schalter an der Ampel nur einen Sinn: Sie sind nur da, damit wir Fußgänger was zu tun haben. So fällt uns das Warten leichter.
Ist ja eigentlich logisch! Die werden ja nicht die ganze Ampelschaltung in der Stadt umstellen, bloß damit ich schneller über die Straße komme. Und es stimmt: Wenn ich was zu tun habe, kann ich das Warten viel besser ertragen.
Beim Stau auf der Autobahn zum Beispiel: Auf der mittleren Spur geht es etwas schneller. Ich wechsle. Nach einer Weile steht wieder derselbe LKW neben mir.
Oder im Supermarkt – sollte ich nicht doch lieber an die andere Kasse…?
Es kann völlig Sinn frei sein, aber wenn ich was zu tun habe, geht es mir gleich besser.
Viele sagen: Mit dem Gebet ist es genauso. Du tust es nur für dich selbst.
Jesus scheint ihnen Recht zu geben. Er sagt: Glaubst du wirklich, dass Gott nicht weiß, was du brauchst? Glaubst du ernsthaft, du musst ihn daran erinnern, dass dein Nachbar krank ist? Er weiß das, noch bevor du auch nur einen Gedanken daran verschwendest.
Also warum dann beten?
Jesus hat uns das Vater unser geschenkt. In diesem Gebet geht es um den Himmel, das tägliche Brot, mein Leben – alles kommt von dir, unser Vater.
Ein gutes Gebet ist wie Musik:
Es öffnet mir das Herz. Ich lasse los. Ich sehe die Welt mit anderen Augen. Ich spüre die Kraft, die mich hält. Und ja, ich tue was – ich bete. Das ist nicht nötig, aber schön.
Und dann, irgendwann, wie von selbst, springt die Ampel auf Grün und ich ziehe fröhlich meiner Wege.

Jetzt!

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat leidenschaftlich gern telefoniert. Das Gespräch mit einem Freund konnte schon mal zwei, drei Stunden dauern. Der hatte es ja noch gut. Zu seiner Zeit gab nur ein einziges Telefon im Haus. Wenn er gesprochen hat, war halt besetzt. Niemand hat gestört.
Bei mir ist das ganz anders. Ich spreche im Festnetz – da brummt das Handy. Was machst du jetzt? Rangehen oder weiter telefonieren? Ich schaue auf das Display. O Mann, es ist der Handwerker. Ich warte schon ewig auf seinen Rückruf. Egal, ich gehe jetzt nicht ran. Aber aus meinem Gespräch bin ich erst mal raus. Muss mich wieder ganz neu konzentrieren.
Eine andere Situation: Wir sind mitten im Taufgespräch. Da macht es in der Sakkotasche des stolzen Papas „Ping.“ Aha. Eine Kurznachricht. Von wem mag sie sein? Er schaut natürlich nicht gleich nach. Aber ich spüre deutlich: er ist nicht mehr so ganz bei der Sache. Es dauert eine Weile, bis er wieder im Gespräch ist.
Dietrich Bonhoeffer hat vor knapp 90 Jahren gesagt: Du kannst Gott nur in der Gegenwart erfahren. Wer aus der Gegenwart flieht, der flieht vor Gott. Wenn ich nicht hier bin, in diesem Moment, dann verpasse ich das Leben dann verpasse ich die Liebe – dann verpasse ich Gott.

Hier zu sein. In diesem Moment. Genau das fällt mir immer schwerer.

Dabei ist es das einzige, was ich habe: diesen Moment. Und es ist so leicht, ihn zu verpassen: mal eben die Mails checken, die neuesten Nachrichten lesen, das neue Video vom Enkelkind ansehen. Was um mich herum geschieht, verliert ganz schnell an Bedeutung.

Ich habe all diese Ping und Peng Töne bei meinem Smartphone abgeschaltet. Wenn ich in einem Gespräch bin, stelle ich das Teil in den Flugmodus, dann kann wirklich keiner mehr stören.

Ja, das Smartphone ist praktisch. Aber ich muss noch eine Menge lernen, damit ich das Leben nicht verpasse.

Tu was!

Tu was
„Im Übrigen ist in den letzten Jahrzehnten leider viel zu viel über das, was man tun sollte oder könnte geschrieben und geschwafelt worden – leider auch von mir. Jetzt gilt es vor allem, anzupacken.“ (Peter Bertold, Unsere Vögel, S. 16)
Das schreibt Peter Bertold, ein Mann, der weiß, wovon er spricht.
Peter Bertold kämpft seit Jahrzehnten für unsere heimischen Singvögel. Er war viele Jahre Leiter der Vogelwarte in Radolfzell. Dort hat er hautnah miterlebt, wie dramatisch die Zahl der Vögel zurückgeht. Peter Bertold hat gewarnt und gekämpft und er hat ein einfaches Konzept entwickelt: Wenn wir nur zehn Prozent unserer Fläche den Pflanzen und Tieren überlassen würden, dann wäre allen geholfen. Mit dieser Idee war er sogar beim damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Der fand die Idee spannend. Doch Helmut Kohl hatte auch seinen Landwirtschaftsminister dabei. Und Peter Bertold schreibt: „Als ich dem in die Augen sah, da wusste ich: Es hat keinen Zweck.“
Danach ist Peter Bertold in ein tiefes Loch gefallen. Er hatte das Gefühl: „Du kannst tun und lassen was du willst. Es hat keinen Sinn. Es ändert sich nichts.“
Doch irgendwann hat er sich wieder aufgerafft. Heute, mit 85 Jahren, ist er ein glücklicher und zufriedener Mann.
Was ist passiert?
Peter Bertold hat das getan, was er tun konnte: Gemeinsam mit anderen hat er erste Biotope in seiner Heimat am Bodensee angelegt: Er hat Hecken gepflanzt und Teiche angelegt. Und er hat leidenschaftlich dafür gekämpft, dass wir endlich anfangen, Amsel, Drossel, Fink und Star zu füttern – nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über. Er sagt: „Wir werden die Welt nicht retten, aber wir können mit unserer Liebe das schlimmste verhindern.“
Es ist so: Man sollte – man könnte – man müsste – das treibt uns in die Ohnmacht. Aber die Liebe ist der Weg der kleinen Schritte.
Jesus drückt das so aus: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“

 

Magische Momente

Sonntagmorgen.
Ich sitze draußen, unter dem Dach im Innenhof, in eine dicke Decke gemummelt. Genieße diese besondere Stille. Plötzlich raschelt es im trockenen Laub. Die ersten Regentropfen fallen. Dann wird es wieder ganz still. Es beginnt zu schneien. Die ersten Schneeflocken schweben auf die Erde.

„Jede Schneeflocke fällt genau an den Ort, an dem sie liegen soll“

Eckhard von Hirschhausen erzählt in einem seiner Bücher von einem Besuch bei einem buddhistischen Mönch. Sie sitzen schweigend bei einer Tasse Tee, schauen dem Schneetreiben vor dem Fenster zu. Da sagt der Mönch diesen Satz: „Jede Schneeflocke fällt genau an den Ort, an dem sie liegen soll.“ Mir gefällt diese Vorstellung. Die Schneeflocke bleibt ja nicht allein. Sie wird Teil einer weißen Decke, wird selbst bedeckt. Sie bleibt auch nicht auf ewig hier liegen. Wird schmelzen, den Boden durchtränken und – wer weiß – im Frühjahr als Wassertropfen eine Rose zum Blühen bringen.
Ob das mit mir auch so ist? Bin ich genau da, wo ich sein soll? Manchmal habe ich dieses Gefühl. Dann geht es mir richtig gut.

Ja, ich brauche diese kleinen, magischen Momente. Sie geben mir Kraft für den Alltag. In der Bibel gibt es viele Geschichten, die davon berichten: Jakob träumt von der Himmelsleiter, Jesus geht mit seinen Jüngern auf einen Berg, Johannes sieht einen neuen Himmel und eine neue Erde. Doch diese Momente sind nicht dazu da, damit ich abhebe. Sie geben mir Kraft für den Alltag. Auch daran werde ich an diesem Sonntag noch erinnert.
Auf dem Auto einer Freundin finde ich folgenden Satz:

„Vor der Erleuchtung musst du holzhacken. Danach auch.“

In der Tat: Ich musste am Abend noch heftig Schnee schippen…