17. Sonntag nach Trinitatis
13. Oktober 2019
Die Irritation
Samstag Nachmittag. Die junge Pfarrerin freute sich auf ein paar ruhige Stunden.
Zu dieser Zeit störte sie niemand und sie konnte in aller Ruhe ihre Predigt vorbereiten.
Aber heute war sie unruhig, fahrig. Der Predigttext lag ihr schwer im Magen.
Die Geschichte von der kananitischen Frau.
Wie sollte sie diesen Text predigen, wo er sie selbst so sehr irritierte?
„Es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.“
„Wie konnte Jesus so etwas sagen?“
„Wie konnte er eine Frau mit einem Hund vergleichen?
Das ist Frauen verachtend!“ dachte sie.
„Und ich habe im Studium gelernt: Jesus war seiner Zeit weit voraus! Er hat die Frauen in seiner Umgebung ernst genommen. Zum Kreis der Jünger gehörten auch viele Frauen. Und nun diese Geschichte! Das passt doch überhaupt nicht.
Wie soll ich ihm da noch glauben? Wie soll ich an ihn glauben?
Und wie soll er da ein Vorbild für meine Gemeinde sein? Mit diesem Vorurteilen gegenüber ausländischen Frauen? Und dann heißt es in der Dogmatik: Christus, der ohne Sünde ist, ist für unsere Sünden gestorben.
Aber so wie er mit dieser Frau umgeht, das ist doch eine klare Sünde! Nichts sonst! Wie soll ich das alles verstehen?
Ob ich vielleicht doch lieber einen anderen Text predige? Nein! Ich werde mich nicht drücken!
Und vielleicht sind wir ja heute weiter – als Jesus zu seiner Zeit…“
Die trauernde Frau
In diesem Moment klingelt es an der Haustür. „Da willst du endlich mal in Ruhe arbeiten“ seufzt die Pfarrerin und geht zur Tür.
Vor ihr steht die alte Frau Schulz. Sie kennt sie aus der Frauenhilfe. „Guten Tag Frau Schulz! Was führt sie zu mir? Kommen sie doch herein!“
„Frau Pfarrerin, mein Mann! Er ist heute ins Krankenhaus gekommen! Es geht zu Ende. Und“ – sie zögert einen Moment – „er ist ja nicht in der Kirche. Das lässt mir keine Ruhe. Würden Sie ihn trotzdem beerdigen?“
„Ach Frau Schulz, ich würde Ihnen ja gerne helfen!“ seufzt die Pfarrerin, „aber Sie müssen mich verstehen, ich habe auch meine Prinzipien. Schließlich wollte ihr Mann ja nichts mehr von der Kirche wissen. Er ist ausgetreten. Und ich muss auch an all die anderen denken, die ihr Leben lang treu und brav zu ihrer Kirche gestanden haben. Nein, es tut mir leid, aber ich kann ihren Mann nicht beerdigen.“
„O mein Gott!“ sagt Frau Schulz verzweifelt, „dann geht er ohne Segen von dieser Welt!“
Die Pfarrerin erschrickt. Doch sie verdrängt dieses Erlebnis ganz schnell. Die Predigt muss fertig werden!
Die Auslegung der Väter.
Und sie liest in den Auslegungen der Alten, der Glaubensväter und -mütter. Sie erfährt: In der alten Kirche und im Mittelalter wurde der Glaube vor allem als Tugend verstanden. Zum Glauben gehörten in dieser Zeit z.B. Bescheidenheit, Ehrfurcht, Vertrauen, vor allem aber: Demut! So schreibt Augustin zu diesem Text: „Hund hatte der Herr sie genannt. Sie sagte nicht: „Ich bin es nicht!“ sondern sie sagte: „Ich bin es!“[1]
Ein Beispiel für Demut? Dachte unsere Pfarrerin, vielleicht ist diese Erklärung gar nicht so schlecht. Ein bißchen Demut würde manch einem von meinen Zuhörern auch ganz gut zu Gesicht stehen.
Aber trotzdem! Jesus kann und darf eine Frau nicht mit einem Hund vergleichen! Er kann doch nicht erwarten, dass ein Mensch sich so unterwürfig wie ein Hund verhält!“
Sie sucht weiter nach Auslegungen dieses schweren Textes.
Was sagte Martin Luther zu dieser Geschichte?
In der Reformation wird der Glaubestatt der Demutzum Zentrum der Geschichte.
Martin Luther sagt: Diese Geschichte ist ein wunderbares Beispiel für den Glauben gegen den Augenschein. „Christus stellt sich hier so, wie das Herz es fühlt. Das Herz meint, es ist lauter Nein, also die reine Ablehnung da. Aber das ist nicht wahr. Darum muss sich das Herz von seinem eigenen Gefühl abwenden und das tiefe heimliche Ja unter und über dem Nein mit festem Glauben auf Gottes Wort fassen und halten, so wie diese Frau es tut.“[2]
Der Glaube gegen den Augenschein.
Ein schöner Gedanke,“ denkt die Pfarrerin. „Auch wenn du glaubst, Gott ist ganz weit weg. Wenn du meinst er lehnt dich ab und hilft dir nicht. Seine Hilfe ist doch ganz Nahe.“
Vielleicht sollte ich hier meinen Schwerpunkt setzen.
Doch dann schüttelt sie energisch den Kopf. „Ich will mich nicht drücken! Jesus vergleicht eine Frau mit einem Hund! Wie soll ich damit umgehen?
Wie kann ich ihm da glauben?
Wie kann ich glauben, dass er ohne Sünde ist?
Wie kann ich seiner Lehre folgen?
Das ist die alles entscheidende Frage!
Die Zweifel
Sie findet einfach keinen Einstieg in ihre Predigt. Doch das liegt nicht nur an dieser Geschichte. Sie muss die ganze Zeit auch an die alte Frau Schulz und ihren todkranken Mann denken. Hatte sie sich zu schroff benommen? Nein! Sie hatte nur nach ihrer Überzeugung gehandelt! Aus tiefstem Herzen! Ausgetretene haben sich nun mal von der Kirche abgewendet! Die wollen doch nichts mehr mit uns zu tun haben! Die haben doch selbst Schuld! Ich lasse mich doch nicht ausnutzen! Außerdem ist es Ungerecht gegenüber unseren Mitgliedern! Es ist nicht richtig, dass ich meine Zeit für Ausgetretene verwende, wo ich noch nicht einmal genug Zeit für unsere eigenen Leute habe!“
Sie stockt.
„Ich argumentiere genau wie Jesus,“ denkt sie, „die eigenen Leute sind mir lieb und teuer. Die anderen können mir gestohlen bleiben. Und wenn die Not noch so groß ist…“
Sie kann Jesus jetzt besser verstehen.
Sie kann ihn verstehen, aber sie ist nicht einverstanden.
Wie soll einer ohne Sünde sein, der eine Frau mit einem Hund vergleicht?
Wie soll sie sich ihn zum Vorbild nehmen?
Überlegungen zum Text
Sie grübelt weiter:
Jesus vergleicht die Frau mit einem Hund.
Sie nimmt sein Urteil an.
Sie ist demütig, okay.
Sie glaubt?
Vielleicht. Vielleicht glaubt sie an die Macht des Wunderheilers. Und darum unterwirft sie sich so demütig.
Warum hilft Jesus ihr?
Weil sie so laut schreit?
Nein! Von ihrem Schreien lässt er sich nicht beirren.
Weil er seine Vorurteile überwindet?
Nein, denn dann müsste er sich für seinen schlimmen Vergleich entschuldigen.
Jesus sagt zu ihr: „Du hast ein großes Vertrauen Frau! Was du willst soll geschehen!“
Worauf vertraut sie?
Auf diesen harten und unnachgiebigen Mann?
Vielleicht.
Vielleicht glaubt sie aber noch viel mehr auf die Macht der Liebe, die in ihm wirkt.
Die Liebe Gottes, die mächtiger ist auch als Vorurteile Jesu.
Vielleicht ist die Liebe Gottes der Schlüssel zum Geheimnis dieser Geschichte.
Jesus ist ohne Sünde, das könnte bedeuten: er traut der Liebe mehr als seinem eigenen Herzen und seinem eigenen Verstand.
Die Liebe schwemmt alles weg, was ihn von Gott trennt. Darum ist er sein Sohn. Darum ist er ohne Sünde.
Und in diesem Vertrauen kann er mir ein Vorbild sein: Die Liebe Gottes ist größer als meine Vorurteile, als meine ängstliche und verengte Sicht der Welt.
Ja, denkt sie, so kann es gehen. In diese Richtung kann ich predigen.
Jetzt kann ich anfangen, meine Gedanken aufzuschreiben.
Aber erst muss ich noch etwas erledigen.
Sie greift zum Telefonhörer.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Sinne und Herzen in Christus Jesus.
Amen.
[1]Nach Luz Mt Ev II, 431ff
[2]ebd. 432