Monat: März 2018

Freiheit

Freiheit

Cora ist Sklavin. Sie lebt in den Südstaaten der USA. Das Leid, dem sie und ihre Mitsklaven ausgesetzt sind, ist unbeschreiblich. Die Knochenarbeit auf den Baumwollfeldern, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Sechseinhalb Tage die Woche. Die Folter und die Übergriffe durch ihre Aufseher und „Besitzer,“ Willkür und Vergewaltigung. Familien gibt es nicht. Die Kinder werden verkauft, sobald sie arbeiten können. Cora erträgt das nicht länger. Sie will frei sein. Frei von Gewalt, Willkür und Hass. Sie flieht.
Ihr Schicksal erzählt der Roman „Underground Railroad“ von Colson Whitehead.
Nach unendlichen Entbehrungen strandet Cora schließlich auf der Valentine Farm. Dort leben geflohene Sklaven und von ihren „Besitzern“ freigelassene. Sie lernt lesen. Sie lernt politisch diskutieren. Sie erlebt was es heißt, frei zu sein. Natürlich hat sie auch Pflichten. Auch auf dieser Farm muss sie hart arbeiten. Hier baut man keine Baumwolle an, sondern Mais. Doch zu ihrem Erstaunen macht ihr das nichts aus. Sie sagt: „Bis jetzt dachte ich immer: Ich bin frei, wenn ich tun und lassen kann, was ich will. Wenn ich geschützt bin vor Willkür und Unrecht. Aber das ist nicht alles.“ Cora erkennt:

„Freiheit ist eine Gemeinschaft, die für etwas Schönes und Seltenes arbeitet.“

Morgen ist Palmsonntag. Wir denken an den Einzug Jesu in Jerusalem. Er kommt nicht allein. Jesus kommt mit Menschen, die genau das tun: Sie arbeiten gemeinsam für etwas Schönes und Seltenes. An seinem Tisch sind alle gleich: Männer und Frauen, Gebildete und Ungebildete, Fremde und Freunde. Dafür bejubeln sie ihn. Dafür werden sie ihn hassen und kreuzigen.
Doch auf Karfreitag folgt Ostern.
Die Freiheit der Liebe ist stärker als der Tod.

 

Puzzle Himmel und Erde

Mein Freund Ralph hat vier Kinder und eine große Leidenschaft: Er puzzelt. Am liebsten natürlich mit einem der Kinder. „Puzzeln hat was Meditatives!“ sagt er, „Wir machen was zusammen und können dabei schweigen oder reden, ganz wie wir wollen.“
Kürzlich hat Ralph eine gute Idee: Er nimmt ein Foto vom jüngsten Urlaub: die ganze Familie mitsamt VW Bus am Strand in Dänemark. Daraus hat er ein Puzzle machen lassen, 1.000 Teile. Der Plan: Er will es gemeinsam mit Vincent, seinem Jüngsten, zusammensetzen. 1.000 Teile – eigentlich kein Ding für zwei so geübte Puzzler. Die beiden machen sich also an die Arbeit. Die untere Hälfte ist auch schnell geschafft: Sand in verschiedenen Schattierungen, ein Muschelfeld, der Wassersaum, Vater, Mutter, Kinder… Total einfach, wie´s Brötchenbacken.
Allerdings hat Ralph eine Kleinigkeit übersehen: er hat das Foto an einem Sommertag gemacht. Und – na ja: über die Hälfte des Fotos besteht aus strahlend blauem Himmel. Mit anderen Worten: Jetzt liegen über 500 blaue Teile vor ihnen, eines sieht aus wie das andere.
Die beiden sitzen ratlos davor. Ralph fragt Vincent: „Was machen wir jetzt? Packen wir wieder ein?“
„Auf keinen Fall!“ sagt der. „Wir geben doch nicht auf! Ein Bild ohne Himmel! Das geht doch gar nicht! Los! Wir machen weiter!“
Und sie machen weiter. Hinterher erzählt mir Ralph:  „Es war eine elende Plackerei! Mal findest du Ewigkeiten keine zwei Teile, die zusammenpassen, du willst schon verzweifeln, dann wieder passen auf einmal drei, vier Puzzleteile wie von selbst und du machst weiter. Und irgendwann erkennst du die Nuancen: ein leichter Schatten, blau ist nicht gleich blau.“
Natürlich haben sie es geschafft: ein perfektes, großes Puzzle mit Himmel und Erde.
Vincent hat ja Recht: Was wäre die Erde ohne den Himmel? Unvorstellbar!
Doch die Erde ist uns vertrauter. Das mag auch daran liegen, dass im Alltag so viel nach unten schauen. Wir haben so viel zu tun, dass wir uns gar nicht für den Himmel interessieren. Und wir sind phantasielos, stellen uns den Himmel ganz einfach vor: Friede, Freude…
In Wirklichkeit ist es viel komplizierter. Und Vincent hat natürlich Recht: eine Erde ohne Himmel – das geht gar nicht.