Wort zum Sonntag für die Braunschweiger Zeitung.
Reich?
Der kleine Junge steht mit strahlenden Augen vor mir, hält mir sein Sparschwein hin. Ich darf es füttern. Dann nehme ich es vorsichtig in beide Hände: Das ist aber schwer!, sage ich bewundernd. Ja! sagt der kleine Mann ganz stolz, Ist auch schon fast voll! Und dann flüstert er mir mit heiligem Ernst ins Ohr: Sind bestimmt hundert Euro drin!
Hundert Euro! Was er davon alles kaufen könnte…
O Mann, viel zu oft bin ich wie ein fünfjähriger. Dann bilde ich mir eine Menge ein auf mein ganz persönliches Sparschwein: auf meinen Schatz an Wissen, an Erfahrungen, auf meinen Glauben. Ich denke dann wirklich das reicht, um anderen die Welt zu erklären.
Doch was weiß ich schon? Wenn es eng wird, reicht mein Schatz kaum über den Tag.
Sie hat ihren Mann verloren, nach über fünfzig Jahren. Was soll ich ihr sagen?
Das Leben geht weiter? Seien Sie dankbar für all die Jahre? Ist ja beides richtig, aber es ist auch die ganz kleine Münze. Sie weiß es ja selbst. Nur hilft es ihr kein bisschen weiter.
Ich stehe ratlos da. Weiß, dass der Schatz meiner Erfahrungen nicht reicht. Ich schweige. Und ich spüre: dieses Schweigen tut uns beiden gut.
Später können wir dann reden. Über ihren Schmerz und ihre Trauer, aber auch über ihre Kraft und ihre Hoffnung: Ich werde hier noch gebraucht, sagt sie. Und er wartet auf mich.
Martin Luther hat am Ende seines Lebens geschrieben:
Wir sind Bettler, das ist wahr.
Es ist nicht schlimm, mit leeren Händen dazustehen.
Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini