„Lasst uns einander liebhaben“ heißt es im 1. Johannesbrief.
Was für ein schöner, schlichter Satz. Keine großen, aufwallenden Gefühle, kein stürmisches Meer, eher die ruhige See; schön, einfach und selbstverständlich.
Seit füreinander da. Einfach so. Nicht mehr und nicht weniger.
Der barmherzige Samariter hat den Schwerverletzten lieb, ist im entscheidenden Moment für ihn da, mehr nicht. Er wird ihn wohl nie wiedersehen. Doch das ist nicht wichtig.
Einander liebhaben. Das klingt so einfach. Doch warum will uns das so oft nicht gelingen?Ein Grund ist sicher: Wir meinen, keine Zeit zu haben.
„Wir sollten uns mal wieder treffen!“
„Komm doch mal vorbei.“
„Wenn du Zeit hast…“
Floskeln einer höflichen Gleichgültigkeit.
Einander Liebhaben braucht Zeit und Aufmerksamkeit. Einander Liebhaben hütet sich aber auch vor zu großen Erwartungen.
In den Charts steht zurzeit ein Lied gerade ganz oben:
„I only miss you when I’m breathing,“
„Ich vermiss dich nur, wenn ich atme.“
In der deutschen Übersetzung klingt das so:
„Ich vermiss dich nur, wenn ich atme.
Ich brauch dich nur, wenn mein Herz schlägt.
Du bist die Farbe, die ich blute.
Du bist das Einzige, an das ich glaube.
Ich weiß, du kommst zurück zu mir und
ich werde hier auf dich warten, bis zum Ende.
Ohne deine Liebe weiß ich nicht, wie ich überleben soll.
Du bist, was mich am Leben erhält.
Ich vermiss dich nur, wenn ich atme.
Du bist die Droge, die ich brauche,
das Paradies nach dem ich suche.
Ich lebe und hoffe, dass da ein Grund ist.
Kann meine Lippen nicht bewegen, aber mein Herz schreit:
Ich vermiss dich nur, wenn ich atme.
Ich schreie deinen Namen, aber du antwortest mir nicht.
Schlage Alarm, erzähle es jedem.
Ich vermiss dich nur, wenn ich atme…
Dieser Schlager klingt wie ein Psalm: Der Beter drängt, er hofft, er setzt alles auf eine Karte. Der Beter will in den Arm genommen werden, es soll ihm gutgehen. Er will sich verlieren, will das Gefühl: Ich bin etwas Besonderes, meine Liebe ist heilig. Er richtet sich an einen Menschen. Er kann und darf nur das Schöne an ihm sehen, alles andere wird ausgeblendet.
Doch was, wenn die Geliebte unter die Räuber fällt? Wo bleibst du dann mit deiner reinen, unbefleckten Sehnsucht?
Aber selbst wenn ich dieses Gebet als an Gott gerichtet verstehen wollte, wäre es mir unheimlich.
Nein, Gott, ich vermiss dich nicht, wenn ich atme, du bist ja immer da. Ich vermiss dich nur, wenn mir die Luft ausgeht, wenn ich nicht mehr weiterweiß.
Und was, wenn du, Gott unter die Räuber fällst? Wenn du ans Kreuz genagelt wirst? Ist das dann Gotteslästerung, eine Verletzung meiner religiösen Gefühle? Muss ich mir dann ein neues Objekt für meine Liebe suchen, ein heiliges, unantastbares?
„Wer liebt kennt Gott.“
Wir Christen sagen: Gott ist ein leidender, geschundener Mensch geworden, verlassen von allen; einer, der Hilfe braucht.
Der barmherzige Samariter hat das verstanden. Er ist einfach da, als er gebraucht wird. Er fragt ganz schlicht: „Was kann ich für diesen Menschen tun?“
„Lasst uns einander liebhaben, lasst uns für die Verfolgten, Geschundenen da sein und wir werden verstehen, was das heißt:
Gott ist die Liebe.
Ja, wir schaffen das.