Monat: April 2015

Dich Wiedersehen.

Einige Gedanken zum Gedenkgottesdienst im Hospiz

„Siehe, ich mache alles neu.“ (Offenbarung 21)

be ich mich nach dem Frühling gesehnt! Endlich wieder Sonne! Endlich wieder Grün! Die Störche sind wieder da – und die Schwalben, meine Lieblingsvögel. Das kann alles so schön sein. Und unglaublich trostlos.
Was nutzt mir das Neue, wenn du nicht da bist? Was soll das Grün der Bäume, wenn du es nicht siehst, der Gesang der Vögel, wenn du ihn nicht hörst?
Das Neue wischt die Tränen nicht ab. Der Schmerz bleibt. Und dass das Leben einfach so weiter geht ist nicht tröstlich. Es ist brutal.
Siehe, ich mache alles neu.
Wie soll mich das trösten, wenn ich dich verliere?
Wenn der Tod noch ist und Tränen und Geschrei?
Uns wird ja ständig Neues versprochen – Ablenkung, Tröstung, aber kein Trost. Uns wird gesagt: Das Leben hat doch noch so viel zu bieten! Jetzt mal los!
Doch das ist Vertröstung, kein Trost.
All das Neue wird helfen, dass die Wunde vernarbt. Doch sie wird bleiben. Und tief in mir wird der Schmerz bleiben und die Traurigkeit wird bleiben.
Nein, es wird nicht alles gut.
Und wenn alles neu wird, dann nur mit dir.
Kein Leid. Kein Geschrei. Keine Tränen.
Das kann nur sein, wenn du wieder da bist.
Das Neue ist nur gut, wenn du nicht vergessen wirst. Wenn du bleibst. Mit deinen Wunden. Aber ohne Schmerz. Wenn ich erkenne, dass dein Leben nicht umsonst war; dass du geliebt bist. Stärker, als ich dich je lieben kann.
Das Neue ist nur gut, wenn ich dich aufgehoben weiß. Und erkannt. Wie ich dich nie erkannt habe.
Du wirst nicht vergessen. Du gehst und bleibst.
Wir werden uns wiedersehen. Ohne Tränen. Ohne Leid.

Der betende Mensch

Der Homo sapiens, der intelligente Mensch, ist nicht die Krone der Schöpfung.
Der Gipfel der Evolution ist der Homo orans, der betende Mensch.
Er hat die Fähigkeit, nach seiner eigenen spirituellen Existenz zu suchen, sich zu weiten, über sich selbst hinaus zu gehen.
Wenn du betest, kehrst du dich nach innen, löst dich von den materiellen Dingen und begegnest Gott, wie immer du ihn jetzt verstehst.
Im Idealfall öffnest du dich nach dieser Reise allen Menschen.
Im Gebet bist du liebend unterwegs:
zu dir selbst, zu einem Menschen, zur Schöpfung – und machst zwischendurch kurz Halt bei Gott.

Ostern

In den USA hat man einer Gruppe von Menschen einen kleinen Film gezeigt, ungefähr 30 Sekunden lang. In diesem Film spielten zwei Gruppen, eine im weißen und eine im schwarzen Trikot, Basketball.
Die Zuschauer bekamen folgende Aufgabe: „Zählt bitte genau, wie oft die weiße Mannschaft den Ball auf den Boden prellt. Und sie zählten gut. Fast alle hatten die richtige Zahl.
„Gut gemacht!“ sagte man ihnen, „aber habt ihr noch irgendwas anderes gesehen? Ist euch irgendetwas aufgefallen?“
„Nein! Was soll uns aufgefallen sein?“
„Es ist ein Mensch in einem Gorilla Kostüm einmal quer über den Platz gelaufen, hat euch angeschaut und sich auf die Brust geklopft!“
Die Beobachter schüttelten den Kopf: „Das kann gar nicht sein!“
Man zeigte ihnen den Film ein zweites Mal – und tatsächlich! Da war der Gorilla! Keiner von ihnen hatte ihn gesehen!
Dieses Experiment ist oft wiederholt worden, immer mit dem gleichen Ergebnis: Niemand hat den Gorilla gesehen – das heißt, so ganz stimmt das nicht: später hat man bei den Zuschauern die Augen beim Beobachten gemessen:
fast alle hatten den Gorilla mindestens eine Sekunde angeschaut – aber niemand hatte ihn gesehen.
Wenn wir uns auf eine Aufgabe konzentrieren, dann nehmen wir Fremdes nicht mehr wahr – selbst wenn wir es sehen.
Ob es uns mit Ostern auch so geht?
Ob wir vor lauter Erbsenzählerei nicht sehen, wo die Auferstehung uns begegnet?
In den Osterglocken, die gerade blühen, im Blau des Himmels, in den Augen eines Menschen?
Wir sehen, aber wir nehmen nicht wahr.
Doch es ist.
Frohe Ostern!

Karfreitag – Der Kreuzschlepper

Der Kreuzschlepper
In Franken in der Nähe von Volkach führt mitten durch die Weinberge der sogenannte „Bildstockweg.“
Bildstöcke sind sehr alte Denkmäler aus Stein, manchmal auch aus Holz.
Mitten in der wunderschönen Landschaft mit Blick auf den Main stehen sie am Wegesrand als Orte der Meditation und des Gebetes für die Weinbauern. Sie laden ein zu einem Moment der Ruhe mitten in der harten Arbeit.
Auf all diesen Bildstöcken sind Szenen aus dem Leiden Jesu dargestellt: die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreuz, Maria mit ihrem toten Sohn im Arm.
Diese Bildstöcke erinnern an etwas, das wir allzu schnell vergessen:
Das Leiden gehört zum Leben.
Unser Glaube geht noch weiter: das Leiden gehört zur Geschichte Gottes mit uns Menschen. Es ist kein Webfehler, den wir nur endlich beseitigen müssen, damit sich unser Leben endlich richtig und glücklich anfühlt.
Es ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen, das Leiden durch Ungerechtigkeit, Lieblosigkeit, Krankheit und Krieg, zu bekämpfen, so wie Jesus das getan hat.
Aber wir müssen auch aushalten, ertragen. Wir müssen mitgehen mit denen, die zu tragen haben. Manchmal einfach nur da sein.
Die Bildstöcke in den Weinbergen erinnern daran.
Auf einem dieser Bildstöcke ist Christus unter der Last des Kreuzes gestürzt und stemmt sich gerade wieder hoch, die rechte Hand auf einen Stein gestützt.
Es ist das Lieblingsmotiv der Weinbauern. Sie nennen ihn den Kreuzschlepper. Sie sagen: „Er ist wie wir. Muss schleppen.“
Der Kreuzschlepper.
Jesus schleppt sein Kreuz nach Golgatha.
Und ich frage mich: Warum tut er das?
Warum rafft er sich wieder auf? Er weiß doch, was komm!
Sie werden ihn ans Kreuz nageln. Er wird unerträgliche Schmerzen leiden und zuletzt ersticken.
Warum schleppst du dein Kreuz weiter?
Warum bleibst du nicht einfach liegen?
Weil du musst.
Du hast keine Wahl.
Du wirst nicht gefragt.
Du musst.
Leben.
Kämpfen.
Bis zum bitteren Ende.
Wenn wir einen Menschen begleiten, ist das nicht anders.
Wir schleppen.
Schleppen seine Krankheit mit.
Schleppen, wenn das Alter zur Last wird.
Schleppen den Schmerz.
Die Last der Trauer.
Die Einsamkeit.
Jesus hatte ein reiches und erfülltes Leben, war immer für andere da.
Jetzt findet sich jemand, der ihm tragen hilft.
Ein Fremder, Simon aus Kyrene. Der will nicht, sie müssen ihn zwingen.
So geht es uns ja manchmal auch, wenn wir einen Menschen begleiten müssen. Wir haben Angst, wollen nicht.
Doch unsere Motivation ist nicht wichtig.
Wir müssen. Sind da. Schleppen mit.
Manchmal helfen wir wie Veronica. Sie wischt Jesus mit ihrem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht.
Ein kurzer Moment. Eine Geste. Und das Leiden geht weiter. Doch macht das ihr Tun sinnlos?
Der Kreuzschlepper.
Er muss.