Monat: Mai 2024

Was Liebe braucht

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ 
Stimmt, es sind ja auch eine Menge Menschen an der Erziehung unserer Kinder beteiligt: Eltern und Geschwister, Großeltern, Lehrerinnen und Lehrer, Freundinnen und Freunde…
Ich glaube, bei einer guten Partnerschaft ist es genauso.
Da gab es mal so einen Schlager – Michaela, gesungen von Bata Illic, 1972: „Du bist alles für mich, denn ich liebe nur dich, Michaela.“ Arme Michaela, sie soll alles sein: beste Freundin, Liebhaberin, Mutter, Vertraute… 
Gut, „Michaela“ war schon sehr heftig, aber die Charts sind voll von Hymnen auf die große Liebe. Und immer geht es um zwei Menschen, die sich genug sind. „You are the sunshine of my life“ singt Steve Wonder.
Das kann nicht funktionieren. Für eine gute Partnerschaft braucht es auch ein ganzes Dorf: 
Mit Holger und Ralph rede ich über unseren Beruf, mit Robert über Fußball, das interessiert meine Frau nicht die Bohne, mit Mike über spannende Sachbücher; mit Frank teile ich einen Humor, auf den sie gar nicht kann – und wenn sie mit ihren Freundinnen Siedler von Catan spielt, bin ich raus. Das sind nur ein paar Menschen aus unserem Dorf.
Zwei allein? Das klappt schon bei Adam und Eva nicht. Wir brauchen einander. 

Vom Sorgen

„Wie der klettern kann Opa!“
Ich bin mit Ada, meiner Enkeltochter, im Zoo in Berlin. 
Gleich hinter dem Eingang steht ein riesiger Felsen. Dort leben die Steinböcke. Ada ist sehr beeindruckt, vor allem von einen großen Tier mit riesigen Hörnern:
Ihre Augen strahlen, sie ist wie gebannt, will gar nicht weiter. 
Nach ein paar Minuten werde ich ungeduldig: 
„Komm Ada! Wir müssen weiter, sonst schaffen wir es nicht! Es gibt noch so viele spannende Tiere zu sehen!“ 
Dann habe ich mich über mich selbst geärgert: „Du arbeitest den Zoobesuch ab wie eine To- do-Liste:
Du stehst vor den Eisbären, denkst ans Affenhaus – da müssen wir unbedingt auch noch hin! Bei den Affen musst du schnell weiter zu den Elefanten – und den Tiger nicht vergessen!“  – aber der hat sich versteckt…
So geht es mir oft: Ich bin nicht wirklich bei der Sache, denke nur darüber nach, was wohl als nächstes kommt..
In der Bibel steht: 
„Alles hat seine Zeit.“ Stimmt wohl. Gut, wenn du erkennst, was gerade dran ist – und es dankbar annehmen.
Wir hatten dann doch einen schönen Tag – am schönsten war es bei den Pinguinen. 
Ich hätte ihnen stundenlang zusehen können.

Freundschaft

Jürgen sagt über sich selbst, nicht ganz ohne Stolz: „Ich bin inzwischen uralt, 98 Jahre.“ 
Er hat unglaublich viel erlebt, aber er ist immer noch neugierig auf das Leben. Jürgen reist immer noch gern und er schreibt noch richtige Briefe, mit Tinte auf Papier. In seinem letzten Brief denkt er über die Freundschaft nach. Er schreibt: „Ich habe neue Freunde gefunden. In meinem Alter ein großes Glück.“ 
Da hat er Recht. Freundinnen und Freunde sind ein großes Glück, in jedem Alter. 
Und er macht mir mit seinen Zeilen auch ein schlechtes Gewissen; meine Freundinnen und Freunde sind ein großes Glück, aber ich habe zu wenig Zeit für sie. Habe ich zu wenig Zeit – oder nehme ich mir zu wenig?  Ist wohl eine Mischung aus beidem. 
Zeit für meine Lieben. 
Jürgen, der alte Mann, schreibt weiter: 
„Den Weg der Freundschaft muss man häufig gehen, damit kein Gras drüber wächst.“
Was für ein schönes Bild: Der Weg der Freundschaft ist eben nicht gerade und gepflastert; der Weg der Freundschaft ist verschlungen, führt über Berge und durch Täler, ist manchmal kaum zu erkennen und wenn ich ihn nicht gehe, dann verschwindet er irgendwann. 
Danke, lieber Jürgen, alter Freund, für diese Erinnerung…