Unsere Freundin Anke seufzt:
„Oh Mann, ich werde dieses Jahr sechzig – und mein Papa 85… Er hört den ganzen Tag Radio, immer NDR1. Aber wenn ich zu Besuch komme, stellt er sofort ab. Er weiß ja, dass ich nicht so auf seine Musik stehe.“
„Wie jetzt? Dein Papa hört NDR1? Aber du nicht, oder?“
„Nee, Schlager sind nicht so meins. Ich stehe eher auf die Musik der achtziger, neunziger.“
Ich muss lachen: „Was denkst du denn, was auf NDR1 gespielt wird? Whitney Houston, Camouflage, Norma, Abba natürlich…“
Anke staunt: „Wie? Das hört mein Papa?“
Seltsam, wie sehr wir an alten Bildern hängen: auf NDR1 gibt es nur Schlager und Papa hört nichts anderes. Das war einmal. Die heutigen Senioren sind mit den Rolling Stones aufgewachsen, Joni Mitchel, Bob Dylan. Wenn wir mal genau hinschauen, dann staunen wir, wie modern „die Alten“ sind…
Und in der Kirche?
Ich komme mal wieder in die Martinikirche Braunschweig, hier bin ich lange Gemeindepastor gewesen. Und auch hier ein neues Bild: Vor dem Hochaltar sitzen an gedeckten Tischen Jung und Alt, Arm und Reich und essen gemeinsam zu Abend. Es kostet nichts. Alle sind eingeladen. Später gibt es noch ein Konzert, der Eintritt ist frei. Das Ganze nennt sich Vesperkirche. Ich freue mich. Es tut sich was bei uns. Man muss aber auch mal hinschauen und zuhören. Ankes Lieblingssender ist übrigens inzwischen NDR1 Niedersachsen…
Monat: September 2024
Die HasenEnte
Ich zeige meinem Sohn Johannes eine Zeichnung: „Was siehst du?“
„Einen Hasen!“
„Richtig!“
Ich drehe das Papier, zeige ihm das Bild noch einmal anders.
„Was siehst du jetzt?“
Er ist verblüfft: „Eine Ente!“
Stimmt auch!
Eben waren es noch die Ohren vom Hasen, jetzt ist es der Schnabel der Ente.
Es ist ein sogenanntes Kipp Bild, sozusagen eine Hasen-Ente.
Mal siehst du den Hasen, mal die Ente – beides stimmt, aber du kannst nie beides gleichzeitig sehen! Du siehst immer eins: nur den Hasen – oder nur die Ente.
Es kommt auf den Blickwinkel an! Ein entweder – oder gibt es da nicht: Es ist eben nicht entweder eine Ente oder ein Hase. Es ist beides: ein Hase und eine Ente.
Ich finde das wichtig in einer Welt, in der es oft nur noch um ja oder nein geht, um Freund oder Feind.
Wer weiß, vielleicht meint Jesus auch das, wenn er sagt: „Liebe deine Feinde!“
Hört ihnen zu. Schau sie zwei Mal an, wechsele die Perspektive.
Sieh die Welt für einen Moment mit ihren Augen – und staune:
„Jetzt verstehe ich dich: Was für mich eine Ente ist, ist für dich ein Hase…
Stimmt beides, wie in einem Kippbild…
Wissen und Geheimnis
Als ich ihm erzähle, dass ich Pastor bin, lächelt er nur müde: „Ach wissen Sie, mit dem Glauben habe ich es nicht so, ich bin Naturwissenschaftler…“
Also für mich ist das ein Gegensatz, Glauben und Wissen.
Ich liebe es, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mir die Welt erklären. Ihre Geschichten sind so spannend. Und je mehr ich verstehe, desto mehr staune ich über das Geheimnis des Lebens. Ein kleines Beispiel: Bei mir am Vogelhaus ist jeden Morgen gewaltig was los: Da tummeln sich Meisen, Spatzen und Stare – sogar ein Buntspecht kommt ab und zu vorbei.
Plötzlich ertönt ein schriller Warnruf und alle sind verschwunden.
In einem Buch über die geheimnisvolle Welt der Vögel erklärt die Autorin: „Vögel können viel mehr, als wir bisher wussten. Sie sind hochintelligent. Sie verstehen nicht nur den Warnruf, sie hören sogar raus, ob ein Sperber aus der Luft im Anflug ist – oder eine Katze sich am Boden anschleicht.“
Die Welt ist so schön, so vielfältig – aber wir wissen nicht, wie das alles möglich ist.
Je mehr ich weiß, desto tiefer wird mein Glaube.
Natürlich glaube ich auch nicht, dass Gott die Welt an sechs Tagen erschaffen hat; das ist ein uraltes Bild für die Kraft und die Liebe, die wirkt, im großen Geheimnis des Lebens.