Schlagwort: Leben

Hauch ist der Mensch

Ich lese in der Bibel:
„Hauch ist der Mensch und sein Leben gleicht dem schwindenden Schatten.“
Mein Leben nur ein Hauch? 
Ein Schatten, der schwindet?
Wenn ich es mir recht überlege:
Ich weiß fast nichts über meinen Großvater. 
Er ist vor meiner Geburt gestorben. 
Und wer erinnert sich an mich in hundert Jahren? 
Manchmal fühlt sich das genauso an: 
Ja, mein Leben ist ein Hauch, mehr nicht. 
Doch dann sitze ich im Garten: 
Die Sonne bricht durch die Wolken, die Schatten schwinden, die Blumen sind in ein wundersames Licht getaucht.
Dann fühle ich mich getröstet von diesem uralten Wort:
„Hauch ist der Mensch und sein Leben gleicht dem schwindenden Schatten.“
Dann spüre ich diesen Hauch des Lebens, dann weiß ich: 
Du lebst! Jetzt! 
Du lebst aus dem Hauch, dem Geist Gottes. 
Und die Schatten? 
Sie werden der Morgenröte weichen.

Geduld?

Der Dichter Bertold Brecht schreibt:
„Ich sitze am Straßenrand. Schaue beim Reifenwechsel zu. 
Ich war nicht gern, wo ich herkomme.
Ich will nicht gern dahin, wo ich hinfahre.
Warum bin ich ungeduldig?“
Ja, warum?
An der Kasse im Supermarkt, im Stau auf der Autobahn, selbst beim Zahnarzt im Wartezimmer: immer bin ich ungeduldig
Aber manchmal gelingt es mir, manchmal wechsle ich den Blickwinkel:
Dann sehe ich in der Schlange an der Kasse einen Vater. Er schneidet seinem Kind Grimassen, die beiden lachen sich kaputt. 
Im Wartezimmer beim Zahnarzt finde ich in einer Zeitschrift einen tollen Bericht über Hummeln, die mit bunten Kugeln spielen. Ich freue mich noch den ganzen Tag drüber. 
„Warum bin ich so ungeduldig?“ fragt Bertold Brecht.
Weil ich meine, ich muss noch sein, wo ich gerade herkomme? 
Weil ich schon sein will, wo ich hin muss?
Und verpasse diesen Moment, dieses Geschenk in all seiner Fülle? 

Vom Sorgen

„Wie der klettern kann Opa!“
Ich bin mit Ada, meiner Enkeltochter, im Zoo in Berlin. 
Gleich hinter dem Eingang steht ein riesiger Felsen. Dort leben die Steinböcke. Ada ist sehr beeindruckt, vor allem von einen großen Tier mit riesigen Hörnern:
Ihre Augen strahlen, sie ist wie gebannt, will gar nicht weiter. 
Nach ein paar Minuten werde ich ungeduldig: 
„Komm Ada! Wir müssen weiter, sonst schaffen wir es nicht! Es gibt noch so viele spannende Tiere zu sehen!“ 
Dann habe ich mich über mich selbst geärgert: „Du arbeitest den Zoobesuch ab wie eine To- do-Liste:
Du stehst vor den Eisbären, denkst ans Affenhaus – da müssen wir unbedingt auch noch hin! Bei den Affen musst du schnell weiter zu den Elefanten – und den Tiger nicht vergessen!“  – aber der hat sich versteckt…
So geht es mir oft: Ich bin nicht wirklich bei der Sache, denke nur darüber nach, was wohl als nächstes kommt..
In der Bibel steht: 
„Alles hat seine Zeit.“ Stimmt wohl. Gut, wenn du erkennst, was gerade dran ist – und es dankbar annehmen.
Wir hatten dann doch einen schönen Tag – am schönsten war es bei den Pinguinen. 
Ich hätte ihnen stundenlang zusehen können.

Freundschaft

Jürgen sagt über sich selbst, nicht ganz ohne Stolz: „Ich bin inzwischen uralt, 98 Jahre.“ 
Er hat unglaublich viel erlebt, aber er ist immer noch neugierig auf das Leben. Jürgen reist immer noch gern und er schreibt noch richtige Briefe, mit Tinte auf Papier. In seinem letzten Brief denkt er über die Freundschaft nach. Er schreibt: „Ich habe neue Freunde gefunden. In meinem Alter ein großes Glück.“ 
Da hat er Recht. Freundinnen und Freunde sind ein großes Glück, in jedem Alter. 
Und er macht mir mit seinen Zeilen auch ein schlechtes Gewissen; meine Freundinnen und Freunde sind ein großes Glück, aber ich habe zu wenig Zeit für sie. Habe ich zu wenig Zeit – oder nehme ich mir zu wenig?  Ist wohl eine Mischung aus beidem. 
Zeit für meine Lieben. 
Jürgen, der alte Mann, schreibt weiter: 
„Den Weg der Freundschaft muss man häufig gehen, damit kein Gras drüber wächst.“
Was für ein schönes Bild: Der Weg der Freundschaft ist eben nicht gerade und gepflastert; der Weg der Freundschaft ist verschlungen, führt über Berge und durch Täler, ist manchmal kaum zu erkennen und wenn ich ihn nicht gehe, dann verschwindet er irgendwann. 
Danke, lieber Jürgen, alter Freund, für diese Erinnerung… 

Es kommt anders…

Neulich habe ich an einer Küchenwand einen schönen Satz gelesen:
„Es kommt anders, wenn du denkst.“
Stimmt. Es ist immer gut, erst mal nachzudenken. 
Es kommt nicht nur anders, als du denkst, es kommt auch anders, wenn du denkst.
Man könnte meinen: Wenn die Vernunft mein ganzes Leben bestimmt, dann wird alles gut, mein Leben wäre perfekt. Ich würde mich immer genug bewegen, gesund ernähren, nur gute Bücher lesen…
Aber ich würde auch kein Eis mehr essen, ich würde nie mehr mit Freundinnen und Freunden spät nachts beim Bier sitzen oder im Sturm an der Nordsee spazieren gehen. 
Ich würde das Leben nicht küssen. 
In der Bibel wird immer wieder berichtet, wie Jesus das Leben feiert: er sitzt mit seinen Freundinnen und Freunden zusammen, er freut sich über die Vögel am Himmel und die Lilien auf dem Felde. Im Grunde sagt er damit: Jeder Tag ist ein Geschenk. Die Vernunft kann mir helfen, dieses Geschenk dankbar anzunehmen und sorgsam damit umzugehen. Aber dazu braucht es auch Liebe, Spontanität, Dankbarkeit und Weisheit… 
Dann kommt es nicht nur anders, wenn du denkst, dann wird dein Leben auch schöner, gesegnet…

Tempo, Tempo

Wir kriegen jetzt schnelles Internet, Glasfaserkabel.
Zuerst habe ich gedacht: „Super! Da kannst du Zeit sparen!“ 
Wenn etwas schneller geht, finde ich das immer erst mal gut.
Aber ich werde jetzt den Tatort nicht in doppelter Geschwindigkeit sehen, bloß weil ich „schnelles Internet“ habe. Meine Emails kann ich auch nicht schneller schreiben, das braucht seine Zeit – und wenn sie eine Zehntelsekunde schneller ankommen, na ja…
„Immer schneller“ führt bei mir auch nicht dazu, dass ich mehr Zeit habe, ganz im Gegenteil: Ich werde immer ungeduldiger. 
Der ICE braucht von Braunschweig nach Berlin nur noch 1 ½ Stunden. Phantastisch! Aber wehe, er kommt zehn Minuten zu spät…
Ich stehe im Baumarkt an der Kasse und vor mir hat einer unendlich viel Kleinkram – du meine Güte, wird der denn nie fertig?
Geschwindigkeit ist kein Wert an sich und ich kann auch keine Zeit „sparen.“ 
„Alles hat seine Zeit“ steht in der Bibel (Prediger 3) Da wird ganz viel aufgezählt: Pflanzen und ernten hat seine Zeit, abbrechen und bauen hat seine Zeit, weinen und lachen… 
Und am Ende heißt es: 
Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit. 
Er hat auch die Ewigkeit in dein Herz gelegt… 
Und manchmal, ja manchmal kann ich sie spüren, die Ewigkeit: 
Wenn ich die Zeit einfach Zeit sein lasse…

Setz die Segel und lass dich treiben

Ich bin jetzt im Ruhestand, das ist eine ganz neue Erfahrung: Keine Sitzungen mehr, fast keine Termine, jede Menge Zeit für mich. 
Wunderbar!
Ich werde immer wieder gefragt: „Was machst du denn jetzt so? Was sind deine Projekte?“
Ich habe erst mal keine. Ich will mich auf das einlassen, was kommt, will die Freiheit erst mal spüren. 
Aber die Frage hat mich am Anfang schon nervös gemacht: Brauche ich nicht doch ein Projekt?
Dann sind wir im Urlaub an der Nordsee gewesen. In einem Souvenir Laden habe ich einen wunderbaren Spruch gefunden, er war auf ein Mobile mit lauter kleinen Segeln geschrieben:
„Setz die Segel und lass dich treiben.“
So soll es sein! 
Ich lasse mich treiben, schaue mal, was kommt und was das Leben von mir fordert. 
Und was treibt mich an?
Ich habe endlich mehr Zeit für Ada, meine Enkeltochter. 
Ich habe meine Armbanduhr abgelegt, muss nicht mehr so genau wissen, wie spät es ist. Ich treffe mich mit Freunden und es ist egal, wie lange es dauert.
Ich habe Zeit zum Schreiben und Lesen. 
Vor meinem Fenster pocht ein Buntspecht eine Höhle in den Baum – ich wusste gar nicht, dass der hier lebt. 
Setz die Segel und lass dich treiben.
Es geht voran, auch wenn ich nicht jede Minute verplane – oder verplanen lasse. 

Wer ist der Bedeutendste unter uns? (Mk 9,33ff)

Wir Männer neigen ja manchmal dazu, uns gegenseitig zu überbieten. Das ist bei den Jüngern Jesu nicht anders gewesen. Als die Jüngerinnen einmal nicht da sind, streiten sie sich, leise aber heftig: „Wer ist hier der Größte, der Bedeutendste unter uns?“
Jesus bekommt das mit und fragt sie: „Hey! Warum streitet ihr?“ 
Doch die Jünger schweigen. Klar, ist ja auch peinlich. 
Und dann stellt Jesus ein Kind in ihre Mitte – so einen kleinen Windeldopper, zwei, drei Jahre alt. Der findet das erst mal ganz witzig. Wackelt von einem zum anderen, strahlt die jungen Kerle an – aber die reagieren nicht, sind unsicher. Da fängt der Kleine an zu weinen.
„Was soll das?“ fragen sich die Jünger.
Da nimmt Jesus das Kind auf den Arm und sagt: „Das ist die Antwort auf Eure Frage: „Wer sich um ein Kind kümmert, ist der bedeutendste unter allen Menschen.“
Die, die unter Schmerzen ein Kind zur Welt bringt – die, die nachts aufsteht, wenn das Kind schreit; die trotz aller Müdigkeit stillt und Windeln wechselt – das ist der bedeutendste Mensch unter uns. 
Im Grunde sagt Jesus: „Die bedeutendsten Menschen sind die Mütter.“
So viel weiter als die Jünger damals sind wir Männer auch heute noch nicht gekommen. Aber wir arbeiten dran. 
Hoffentlich…

Himmelfahrt oder Der Himmel auf Erden

„Was steht ihr da und seht zum Himmel?“ 
Das fragen zwei Männer in weißen Gewändern die Jünger, als sie Jesus bei seiner geheimnisvollen „Himmelfahrt“ hinterherschauen. 
Mich hat diese Frage immer geärgert: „Ja was? Soll ich nicht mehr in den blauen Himmel schauen und träumen? Soll ich mich mit dem grauen Alltag abfinden? Den Blick nach unten?“
Da halte ich es doch lieber mit dem Astronauten von Sido. Der schaut nicht nur nach oben, der fliegt: „Ich heb ab, nichts hält mich am Boden. Bin lange nicht geflogen. Wie ein Astronaut.“ 
Es gibt so viel Kraft, sich ab und zu in den Himmel zu träumen. Soll das verboten sein? 
Ich glaube nicht. Ich denke die Männer in Weiß, diese beiden Engel, meinen etwas anderes: 
Du schaust in den blauen Himmel. Siehst die Weite. Du spürst, das Leben ist größer und schöner als deine Gedanken es fassen können. Das tut gut. 
Doch du kannst da nicht ewig stehen bleiben. Du musst weiter, zurück in den Alltag. Das ist nicht schlimm. Nimm die Kraft des Himmels mit. Suche Spuren der Unendlichkeit in deinem Leben. Such den Himmel auf Erden. 
Du magst ihn in der Natur finden: Am Schloss Richmond blühen gerade gelbe Wildtulpen. Und endlich, endlich singt die Nachtigall wieder! Für mich zeigt sich im Frühling der Himmel auf Erden.Aber auch in der stillen Liebe, in der Fürsorge:
Eine junge Frau geht jeden Morgen an unserem Haus vorbei mit ihrem uralten Pferd spazieren. Reiten kann sie es schon lange nicht mehr. 
Himmelfahrt. Aufschauen, das Leben preisen. Und das Leid aushalten.
Der, dem die Jünger hinterherschauen, war ein verletzlicher Mensch. Er hat alles erlebt: ein erfülltes, schönes Leben und unendliches Leid am Kreuz. 
Alles ist aufgehoben in der Liebe des Himmels.
Das ist für mich Himmelfahrt.