Andacht für NDR 1 Radio Niedersachsen
Mittwoch, 11. November 2015 – Von Falken und Tauben
Wir sitzen in einer Geburtstagsrunde bei einer alten Dame. Neben mir die Enkeltochter, eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern. Mein Sohn ist so ganz anders als seine Schwester, klagt sie. Er ist so wild. Im Urlaub waren wir in Freiburg. Da gibt es diese wunderschönen Bächle, so kleine Wasserläufe mitten in der Stadt. Und was macht mein Kleiner? Der steigt da einfach rein! Ruck zuck stand er bis zu den Knien im Wasser. Wir konnten gleich wieder nach Hause, ihn umziehen. Ich war sowas von sauer!
Dein Vater war genauso! sagt die Großmutter lachend. Ich weiß, sagt die junge Mutter, aber heutzutage geht das doch nicht mehr! Er kommt nächstes Jahr in die Schule. Was soll da aus ihm werden, wenn er nicht stillsitzen kann? Bis dahin werden wir noch eine Menge Arbeit mit ihm haben!
Darf ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen? habe ich sie gefragt. Sicher! Ich liebe Geschichten! war ihre Antwort. Also dann:
Ein König brachte nach der Jagd seinen Falken mit in den Pferdestall. Er bat seinen Stallknecht, einen Moment auf ihn aufzupassen. Der etwas einfältige Knecht schaute sich das Tier an, schüttelte den Kopf und sagte: Du armes Tier! Was haben sie denn mit dir gemacht? Er holte eine Schere, beschnitt dem Falken den Schnabel und die Krallen und stutze ihm schließlich noch die Flügel. So! sagte er dann, Jetzt bist du eine richtige Taube!
Die ganze Runde lacht. Nur die junge Mutter schaut nachdenklich. Sie meinen also, ich will aus meinem Falken eine Taube machen? Vielleicht … antworte ich. Aber wir wissen beide, dass das nicht geht. Ein Falke wird niemals zur Taube. Aber wenn du ihn zurechtstutzt, ist er auch kein wirklicher Falke mehr.
Herr Pastor, sagt da die Großmutter, in der Bibel heißt es doch, wir sollen uns kein Bild von Gott machen, nicht wahr?
Stimmt. antworte ich, Denn das verdeckt den Blick, wie Gott uns begegnen will. Aber wie kommen Sie jetzt da drauf?
Ich finde, das sollte auch für unsere Kinder gelten sagt die alte Dame. Wir sollten uns von ihnen kein Bild machen. Dann können wir viel leichter entdecken, wer sie wirklich sind und wer sie werden wollen.