Schlagwort: Glaube

Stöpsel im Ohr

Ich fahre mit dem E-bike durch den Park. Neben mir schwebt eine junge Frau auf ihrem E-Scooter. Wir sind ungefähr gleich schnell. Dann trennen sich unsere Wege. Zwei Minuten später fährt sie wieder neben mir.  „Oh,“ sage ich zu ihr und lächle: „da sind Sie ja wieder!“ Doch sie reagiert nicht. 
„Au!“ denke ich, „bist du alter Mann ihr zu nahe getreten?“ und lasse mich zurückfallen. 
Da sehe ich: Falsch! Die junge Frau hat mich gar nicht gehört. Sie hat Stöpsel in den Ohren.
Im Geschäft und auf der Straße, beim Fahrradfahren und Joggen: überall haben Menschen Stöpsel im Ohr. 
Irgendwo anders scheint es immer interessanter zu sein als da, wo wir gerade sind 
Klar, ich habe auch Kopfhörer.
Ich höre gern Podcasts und auch Musik – aber beim Abwaschen und nicht beim Fahrradfahren.
Alles hat seine Zeit.
Ist die Musik wirklich schöner als ein Gespräch mit meiner Frau beim Bohnen schnippeln fürs Mittagessen?
Ich glaube: zu oft Stöpsel im Ohr macht einsam und unempfindlich für die Schönheit der Welt. 
Ich kann nur lieben, was ich auch wahrnehme. 
Alles hat seine Zeit…

Oper, Gottesdienst und Hochkultur

Mein erster Opernbesuch ist ewig her. Das war Mitte der siebziger. Ich bin noch zur Schule gegangen. Ich habe mich in meinen Anzug gezwängt, meine einzige Krawatte umgebunden und bin ins Staatstheater gegangen. Doch trotz Anzug und Krawatte – ich hab mich fremd gefühlt. In der Pause hab ich mit meinen Kumpels verunsichert am Rand gestanden.Oper, das war was für die bessere Gesellschaft, Hochkultur. 
Von einem Opernfreund habe ich nun gehört: 
„Das ist längst vorbei. Die Intellektuellen, die Schönen und Reichen, die gehen da nicht mehr hin. 
In die Oper gehen vor allem Liebhaber: die einen im Anzug, die anderen in Jeans und Turnschuhen. Die Kleidung spielt schon lange keine Rolle mehr.“

„Nein“ sagt er,, „die Oper ist keine Hochkultur. Sie ist Subkultur. Es ist da wunderschön. Du tauchst in eine ganz andere Welt ein. Aber da gehen nur noch Freaks hin, Liebhaber.“ 
Mir ist die Welt der Oper leider fremd geblieben – aber ich ahne ihren Zauber.
Mit unseren Gottesdiensten geht es vielen so wie mir mit der Oper: eine fremde Welt, Subkultur, etwas für Freaks, für Liebhaber.
Aber auch im Gottesdienst tauchen wir in eine andere Welt ein: Wir singen. Wir beten. Wir gehen in die Stille. 

Israel

Ein Kind wird geboren; unter elenden Bedingungen, umgeben von Gleichgültigkeit und Feindschaft. Die Eltern landen in einem Stall im heute palästinensischen Bethlehem. Das ist die Geburtsstunde des christlichen Glaubens. 
Aber es ist nicht die Geburtsstunde von Hass und Wut, sondern von tiefer Menschlichkeit. Der Mann aus Nazareth wird immer wieder angefeindet, verleumdet, gedemütigt und verfolgt. Aber er öffnet sein Herz für alle Menschen: für den Gelähmten aus seinem eigenen Volk, für den römischen Besatzer und für die ausländische Frau. 
Und wie immer jeder und jede von uns das versteht, dahinter steht der Glaube: 
Gott ist Mensch geworden, keine Idee, kein politisches System, keine Weltformel, sondern ein kleines, verletzliches, bedrohtes Menschenkind. Und weiter gedacht bedeutet das für mich: Gott wird immer wieder Mensch: in jedem Kind, das das Licht der Welt erblickt. Und Gott bleibt Mensch in jedem Mordopfer im Kibbuz, in jedem Jugendlichen, wehrlos erschossen auf dem Festival in der Negev, in jedem alten und kranken Menschen, verschleppt als Geisel in den Gazastreifen. Ja, Gott ist und bleibt auch Mensch in all denen, die nun im Gazastreifen um ihr Leben fürchten, die sich ängstigen um ihre Mütter und Väter, um ihre Söhne und Töchter.
Aber er ist ganz sicher nicht Mensch in denen, die dieses Massaker angerichtet haben, die für dieses unendliche Leid verantwortlich sind und auch nicht in denen, die das beklatschen. Die Mörder und ihre Schergen haben den Glauben an den menschlichen Gott, an das Göttliche im Menschen, verraten. 

Der Bergdoktor

Ich liebe Schnulzen.
Gut, es muss nicht gerade Rosamunde sein, aber den Bergdoktor, den mag ich. Ich freue mich schon auf die nächste Staffel.
Was gefällt mir so an Martin Gruber, dem Bergdoktor?
Er lebt ein bisschen so, wie ich das immer wollte. Klar, er hat reichlich Probleme: mit seinem Bruder und seiner Tochter, dem Hof, mit den Frauen und natürlich auch mit seinen Patientinnen und Patienten. 
Aber: Er nimmt sich Zeit. 
Martin Gruber ist immer da, wenn er gebraucht wird. Er fährt mit der Patientin ins Krankenhaus, berät sich mit den Kolleginnen und Kollegen. Hört zu. Operiert auch selbst, wenn es sein muss. 
Kurz und gut: Er ist mit Leib und Seele dabei. 
Natürlich weiß ich dass das ein Märchen ist. Sein Wartezimmer ist leer, er hat immer nur eine Patientin oder einen Patienten. 
Die Realität unserer Ärztinnen und Ärzte sieht ganz anders aus. 
Aber der Bergdoktor erinnert mich an meine Ideale: 
Ja, ich will in einer guten Gemeinschaft leben, ich will Zeit haben für die Menschen, die Gott mir anvertraut. 
Und ich freue mich immer, wenn es mir gelingt:
Wenn ich in einem Gespräch die Zeit vergesse; wenn ich das Gefühl habe, einem Menschen zu helfen.
Nicht Bergdoktor, aber Bergpastor, das wär ich schon gern…

Glück oder: Du musst nicht alles schaffen

Es gibt unzählige Ratgeber für ein besseres Leben.
Und es ist immer dasselbe:
„Du schaffst deine Arbeit nicht? Wirst nie fertig? Du hast abends immer das Gefühl, du hast nichts geschafft?
Ja dann hast du noch nicht die richtige Technik drauf. Lies unseren Ratgeber, dann hast du bald abends alle deine To do Listen abgebarbeitet, alles ist erledigt und du kannst ganz zufrieden das Leben feiern.“ 
Darf ich wirklich erst feiern und zufrieden sein, wenn ich alles erledigt habe?
Wann soll das sein?
Das ist so, als ob ich mit Vollgas über die Autobahn rase und mir sage: Erst wenn ich den letzten überholt habe, nehme ich den Fuß vom Gas.
Ich habe nie alles erledigt und das kann auch nicht der Sinn meines Lebens sein. 
Aber mich überbekommt natürlich auch immer wieder diese Hektik: 
„Du musst alles schaffen, dann wird dein Leben gut.“ 
An guten Tagen hilft mir dann an einen Satz von Jesus:
„Sorgt euch nicht. Seht die Vögel unterm Himmel. Sie sähen nicht, sie ernten nicht und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“

Wenn ich dann noch einen Bussard am Himmel kreisen sehe, dann denke ich: 
Er wartet auch nicht, bis er alles erledigt hat. 
Vielleicht fliegt er heute ja einfach mal so – auch aus purer Lust am Leben.

Warum ich Christ bin

Noch einmal Gerhard Meier:
Der Schweizer Schriftsteller hat seinen Glauben in drei Sätzen formuliert:
Der erste lautet:

„Ich mag das Haschen nach Wind.“
Ich mag es auch, das Haschen nach Wind:
Ich höre sein Rauschen in den Pappeln. Ich weiß nicht, woher er kommt und wohin er geht. Ich werde ihn nie zu fassen kriegen. Aber ich höre ihm gern zu: wie er brüllt, wie er rauscht, wie er säuselt.

Als Christ darf ich arm sein und schwach“,
so lautet der zweite Glaubenssatz von Autor Gerhard Meier:
Er hat seinen gut bezahlten Beruf als Ingenieur aufgegeben. Er wollte von nun an nur noch eins: schreiben. Seine Frau Dorli hat als Kioskverkäuferin gearbeitet, von diesem Geld haben sie jahrelang gelebt, mehr schlecht als recht.
Mach dich arm, mach dich schwach für das, was zählt in deinem Leben. Für Gerhard Meier ist es das Schreiben gewesen. 

Sein dritter Glaubenssatz lautet:
„Als Christ darf ich wissen, dass wir Vertriebene sind – aber heimfinden.“ 
Nein, ich lebe nicht im Paradies. Aber ich finde seine Spuren: in den Blumen im Garten, in der Schönheit der Schöpfung und in der Liebe der Menschen, die mir nahestehen. Manchmal, für einen Moment, führen sie mich zurück ins Paradies.

Die Bibel als Bastelbuch für eine Glücksmaschine

Der Schweizer Schriftsteller Gerhard Meier schreibt: „Für mich ist die Bibel ein Bastelbuch, um daraus eine Glücksmaschine zu bauen.“ 
Zuerst habe ich gedacht: „Was soll das denn? Die Bibel ein Bastelbuch? Und dann auch noch für eine „Glücksmaschine?“ Was soll das sein? Aber inzwischen gefällt mir diese Vorstellung ganz gut. Ich finde auch: Die Bibel ist keine Gebrauchsanweisung und auch keine Landkarte für ein gutes Leben. Vielleicht doch eher ein Bastelbuch …. 
Beim Basteln musst du improvisieren, du nimmst alles, was du hast – und du wirst nie fertig. Es muss nicht perfekt werden, nur gerade so gut, wie es in diesem Moment geht. Basteln hat immer auch etwas Spielerisches: Probieren wir es mal aus…
In der Bibel finde ich vieles, was ich brauche, um an meinem Glück zu basteln: Sie spricht von der Liebe, die alles zusammenhält. Die Bibel handelt von der Ehrfurcht vor dem Leben, macht mich bescheiden in dem, was ich schaffe: Es hält nicht ewig, muss es auch nicht sein. Die Bibel erinnert mich daran: Gemeinsam macht das Basteln, das Leben viel mehr Spaß und es ist gut, wenn ich noch staunen kann wie ein Kind. Ich darf auch ruhig mal scheitern, fange wieder von vorne an. Ja, ich glaube, ich verstehe jetzt ein wenig, was Gerhard Meier meint mit seiner Bibel und seiner Glücksmaschine: 
Sie ist nicht perfekt, läuft nicht immer rund – aber sie schenkt viel Glück. 

Rücken…

Mir ist der Schmerz in den Rücken gefahren. Aus dem Nichts. Von einer Sekunde auf die andere. Ich kann kaum noch auftreten, mich nur noch mühsam fortbewegen, schlafe schlecht. Was für eine Qual! Doch dank meiner Physiotherapeutin, viel Wärme und ein paar Schmerztabletten ist es schnell wieder vorbei. Ich kann mich wieder ganz normal bewegen. Was für ein Segen!
Gut, ich war auch ein bisschen wehleidig.
Ganz anders Frau Schneider. Sie hat große Probleme mit ihren Knien, hat immer Schmerzen. Doch sie lässt sich dadurch nicht aufhalten. Frau Schneider kommt jeden Samstag zu mir in die Marktandacht. Sie geht am Rollator, aber aufrecht – und nach der Andacht noch über den Markt. Und wenn es noch so schwer ist, noch so langsam geht: Sie lässt sich nicht vom Leben abhalten.
Diese Frau ist für mich ein Vorbild: Sie verschweigt ihre Leiden nicht. Aber sie lässt sich auch nicht davon unterkriegen. 
Wenn ich Frau Schneider treffe, dann denke ich oft an einen uralten irischen Segen. Dort heißt es:  

„Mit all seinen Mühen und seiner Plackerei, das Leben ist immer noch schön. Versuche, glücklich zu sein.“ 

Das will ich versuchen, auch wenn es mal wieder zwickt. 

Irgendwas geht immer

Wir sitzen bei einer Feier am selben Tisch.
Mein Tischnachbar fragt mich, wie es so ist in meinem Beruf als Pastor. Ich bin nicht so gut drauf und fange an zu klagen: „Ach, bei uns in der Kirche ist gerade schwierig. Eine Strukturreform jagt die nächste. Was das für Zeit kostet! Man kommt kaum noch zur eigentlichen Arbeit.“
Er nickt, fragt nach, hört mir geduldig zu. 
„Und Sie?“ frage ich irgendwann, „was machen Sie?“
„Ich bin der Chef einer großen Firma. Wir sind in den letzten drei Jahren fünfmal verkauft worden. Zweimal wurde ich sofort entlassen. Einmal durfte ich nicht mal mehr meine privaten Sachen aus dem Büro holen. Aber nach vier Monaten haben sie mich dann zurückgeholt.“
Ich schüttele entsetzt den Kopf.
Er wehrt ab: „Ach wissen Sie, ich habe in dieser Zeit gelernt: Irgendwas geht immer.“  
In diesem Moment fühle ich mich ganz klein.
Als Pastor kenne ich doch den Bibelvers:
„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.“
Aber nicht ich verbreite hier Trost und Zuversicht, sondern dieser Mann.
Irgendwas geht immer.
Der Satz beschreibt meinen Glauben ganz gut.

Ein bisschen mehr Amsel

Heute Morgen hat mich eine Amsel geweckt. Mitten im Januar. Es ist dunkel und kalt – und sie singt ihr Frühlingslied. Sie singt von dem, was ich eigentlich ja auch weiß: Es wird wieder Frühling. Ich kann mich drauf freuen. Klar, es bleibt noch eine ganze Zeit dunkel und kalt. Aber ganz langsam wird es schon wieder heller. 
In dieser schweren Zeit wünsche ich mir ein bisschen mehr Amselgesang. Zu oft tue ich so, als ob es für immer Winter bleibt. Als ob ich nur noch diese Landschaft sähe: kahle Bäume, grauer Himmel.
Dabei muss ich mir nur einen Moment Zeit nehmen und genau hinschauen: Im Garten wachsen Winterlinge, Schneeglöckchen, Gänseblümchen. Die Boten des Frühlings zeigen sich schon. 
Und dann höre ich Gesang der Amsel. Wie schön. Sie erinnert mich:
Auch in diesen so harten Zeiten, es wird wieder Frühling.
Der indische Dichter Tagore schreibt: „Der Glaube ist der Vogel, der das Tageslicht spürt, bevor der Morgen dämmert.“