Schlagwort: Liebe

Was Liebe braucht

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ 
Stimmt, es sind ja auch eine Menge Menschen an der Erziehung unserer Kinder beteiligt: Eltern und Geschwister, Großeltern, Lehrerinnen und Lehrer, Freundinnen und Freunde…
Ich glaube, bei einer guten Partnerschaft ist es genauso.
Da gab es mal so einen Schlager – Michaela, gesungen von Bata Illic, 1972: „Du bist alles für mich, denn ich liebe nur dich, Michaela.“ Arme Michaela, sie soll alles sein: beste Freundin, Liebhaberin, Mutter, Vertraute… 
Gut, „Michaela“ war schon sehr heftig, aber die Charts sind voll von Hymnen auf die große Liebe. Und immer geht es um zwei Menschen, die sich genug sind. „You are the sunshine of my life“ singt Steve Wonder.
Das kann nicht funktionieren. Für eine gute Partnerschaft braucht es auch ein ganzes Dorf: 
Mit Holger und Ralph rede ich über unseren Beruf, mit Robert über Fußball, das interessiert meine Frau nicht die Bohne, mit Mike über spannende Sachbücher; mit Frank teile ich einen Humor, auf den sie gar nicht kann – und wenn sie mit ihren Freundinnen Siedler von Catan spielt, bin ich raus. Das sind nur ein paar Menschen aus unserem Dorf.
Zwei allein? Das klappt schon bei Adam und Eva nicht. Wir brauchen einander. 

Freundschaft

Jürgen sagt über sich selbst, nicht ganz ohne Stolz: „Ich bin inzwischen uralt, 98 Jahre.“ 
Er hat unglaublich viel erlebt, aber er ist immer noch neugierig auf das Leben. Jürgen reist immer noch gern und er schreibt noch richtige Briefe, mit Tinte auf Papier. In seinem letzten Brief denkt er über die Freundschaft nach. Er schreibt: „Ich habe neue Freunde gefunden. In meinem Alter ein großes Glück.“ 
Da hat er Recht. Freundinnen und Freunde sind ein großes Glück, in jedem Alter. 
Und er macht mir mit seinen Zeilen auch ein schlechtes Gewissen; meine Freundinnen und Freunde sind ein großes Glück, aber ich habe zu wenig Zeit für sie. Habe ich zu wenig Zeit – oder nehme ich mir zu wenig?  Ist wohl eine Mischung aus beidem. 
Zeit für meine Lieben. 
Jürgen, der alte Mann, schreibt weiter: 
„Den Weg der Freundschaft muss man häufig gehen, damit kein Gras drüber wächst.“
Was für ein schönes Bild: Der Weg der Freundschaft ist eben nicht gerade und gepflastert; der Weg der Freundschaft ist verschlungen, führt über Berge und durch Täler, ist manchmal kaum zu erkennen und wenn ich ihn nicht gehe, dann verschwindet er irgendwann. 
Danke, lieber Jürgen, alter Freund, für diese Erinnerung… 

Liebe, Hoffnung, und Respekt

Esther Perel ist Paartherapeutin. Sie ist berühmt für ihr Einfühlungsvermögen und ihre humorvolle und warmherzige Art.
Ihre Eltern Sala und Icek stammen aus Polen. Ein jüdisches Paar. Sie haben das Konzentrationslager überlebt. 
In einem Interview wird Esther Perel gefragt: „Sie wirken immer so offen und optimistisch, so voller Lebensfreude. Wo nehmen Sie das her?“
„Das habe ich von meinem Vater Icek“ hat sie geantwortet. „[Er ist nur drei Jahre zur Schule gegangen, aber er hat sich immer für Menschen interessiert.] Mein Vater hat gesagt: „Wo immer du einem Menschen triffst, achte nur darauf, ob er oder sie dir mit Respekt und Achtung begegnet. Solchen Menschen bin ich auch an den schrecklichsten Orten begegnet – aber natürlich auch den anderen…“ 
„Danach versuche ich, zu leben“, sagt Esther Perel.
Wir reden gerade viel über KI, über Künstliche Intelligenz. Mag sein, dass sie viele unserer Probleme lösen wird. Aber KI steht auch für „Kalte Intelligenz“. Es sind Computer, Maschinen, sie können vielleicht sogar Gefühle simulieren, aber was ihnen fehlt ist: Herz; und das macht uns Menschen aus, sagt die Bibel.
Wir dürfen das Entscheidende niemals vergessen: die wichtigste Bildung, die ein Mensch erfahren kann, ist die Herzensbildung. 
Liebe, Achtung und Respekt vor seinen Mitmenschen. 
Ohne Liebe ist das Leben nichts. Sie ist die Einzige, die wirklich trägt. 
Die Liebe vergeht niemals.

Israel

Ein Kind wird geboren; unter elenden Bedingungen, umgeben von Gleichgültigkeit und Feindschaft. Die Eltern landen in einem Stall im heute palästinensischen Bethlehem. Das ist die Geburtsstunde des christlichen Glaubens. 
Aber es ist nicht die Geburtsstunde von Hass und Wut, sondern von tiefer Menschlichkeit. Der Mann aus Nazareth wird immer wieder angefeindet, verleumdet, gedemütigt und verfolgt. Aber er öffnet sein Herz für alle Menschen: für den Gelähmten aus seinem eigenen Volk, für den römischen Besatzer und für die ausländische Frau. 
Und wie immer jeder und jede von uns das versteht, dahinter steht der Glaube: 
Gott ist Mensch geworden, keine Idee, kein politisches System, keine Weltformel, sondern ein kleines, verletzliches, bedrohtes Menschenkind. Und weiter gedacht bedeutet das für mich: Gott wird immer wieder Mensch: in jedem Kind, das das Licht der Welt erblickt. Und Gott bleibt Mensch in jedem Mordopfer im Kibbuz, in jedem Jugendlichen, wehrlos erschossen auf dem Festival in der Negev, in jedem alten und kranken Menschen, verschleppt als Geisel in den Gazastreifen. Ja, Gott ist und bleibt auch Mensch in all denen, die nun im Gazastreifen um ihr Leben fürchten, die sich ängstigen um ihre Mütter und Väter, um ihre Söhne und Töchter.
Aber er ist ganz sicher nicht Mensch in denen, die dieses Massaker angerichtet haben, die für dieses unendliche Leid verantwortlich sind und auch nicht in denen, die das beklatschen. Die Mörder und ihre Schergen haben den Glauben an den menschlichen Gott, an das Göttliche im Menschen, verraten. 

Warum ich Christ bin

Noch einmal Gerhard Meier:
Der Schweizer Schriftsteller hat seinen Glauben in drei Sätzen formuliert:
Der erste lautet:

„Ich mag das Haschen nach Wind.“
Ich mag es auch, das Haschen nach Wind:
Ich höre sein Rauschen in den Pappeln. Ich weiß nicht, woher er kommt und wohin er geht. Ich werde ihn nie zu fassen kriegen. Aber ich höre ihm gern zu: wie er brüllt, wie er rauscht, wie er säuselt.

Als Christ darf ich arm sein und schwach“,
so lautet der zweite Glaubenssatz von Autor Gerhard Meier:
Er hat seinen gut bezahlten Beruf als Ingenieur aufgegeben. Er wollte von nun an nur noch eins: schreiben. Seine Frau Dorli hat als Kioskverkäuferin gearbeitet, von diesem Geld haben sie jahrelang gelebt, mehr schlecht als recht.
Mach dich arm, mach dich schwach für das, was zählt in deinem Leben. Für Gerhard Meier ist es das Schreiben gewesen. 

Sein dritter Glaubenssatz lautet:
„Als Christ darf ich wissen, dass wir Vertriebene sind – aber heimfinden.“ 
Nein, ich lebe nicht im Paradies. Aber ich finde seine Spuren: in den Blumen im Garten, in der Schönheit der Schöpfung und in der Liebe der Menschen, die mir nahestehen. Manchmal, für einen Moment, führen sie mich zurück ins Paradies.

Wer ist der Bedeutendste unter uns? (Mk 9,33ff)

Wir Männer neigen ja manchmal dazu, uns gegenseitig zu überbieten. Das ist bei den Jüngern Jesu nicht anders gewesen. Als die Jüngerinnen einmal nicht da sind, streiten sie sich, leise aber heftig: „Wer ist hier der Größte, der Bedeutendste unter uns?“
Jesus bekommt das mit und fragt sie: „Hey! Warum streitet ihr?“ 
Doch die Jünger schweigen. Klar, ist ja auch peinlich. 
Und dann stellt Jesus ein Kind in ihre Mitte – so einen kleinen Windeldopper, zwei, drei Jahre alt. Der findet das erst mal ganz witzig. Wackelt von einem zum anderen, strahlt die jungen Kerle an – aber die reagieren nicht, sind unsicher. Da fängt der Kleine an zu weinen.
„Was soll das?“ fragen sich die Jünger.
Da nimmt Jesus das Kind auf den Arm und sagt: „Das ist die Antwort auf Eure Frage: „Wer sich um ein Kind kümmert, ist der bedeutendste unter allen Menschen.“
Die, die unter Schmerzen ein Kind zur Welt bringt – die, die nachts aufsteht, wenn das Kind schreit; die trotz aller Müdigkeit stillt und Windeln wechselt – das ist der bedeutendste Mensch unter uns. 
Im Grunde sagt Jesus: „Die bedeutendsten Menschen sind die Mütter.“
So viel weiter als die Jünger damals sind wir Männer auch heute noch nicht gekommen. Aber wir arbeiten dran. 
Hoffentlich…

Himmelfahrt oder Der Himmel auf Erden

„Was steht ihr da und seht zum Himmel?“ 
Das fragen zwei Männer in weißen Gewändern die Jünger, als sie Jesus bei seiner geheimnisvollen „Himmelfahrt“ hinterherschauen. 
Mich hat diese Frage immer geärgert: „Ja was? Soll ich nicht mehr in den blauen Himmel schauen und träumen? Soll ich mich mit dem grauen Alltag abfinden? Den Blick nach unten?“
Da halte ich es doch lieber mit dem Astronauten von Sido. Der schaut nicht nur nach oben, der fliegt: „Ich heb ab, nichts hält mich am Boden. Bin lange nicht geflogen. Wie ein Astronaut.“ 
Es gibt so viel Kraft, sich ab und zu in den Himmel zu träumen. Soll das verboten sein? 
Ich glaube nicht. Ich denke die Männer in Weiß, diese beiden Engel, meinen etwas anderes: 
Du schaust in den blauen Himmel. Siehst die Weite. Du spürst, das Leben ist größer und schöner als deine Gedanken es fassen können. Das tut gut. 
Doch du kannst da nicht ewig stehen bleiben. Du musst weiter, zurück in den Alltag. Das ist nicht schlimm. Nimm die Kraft des Himmels mit. Suche Spuren der Unendlichkeit in deinem Leben. Such den Himmel auf Erden. 
Du magst ihn in der Natur finden: Am Schloss Richmond blühen gerade gelbe Wildtulpen. Und endlich, endlich singt die Nachtigall wieder! Für mich zeigt sich im Frühling der Himmel auf Erden.Aber auch in der stillen Liebe, in der Fürsorge:
Eine junge Frau geht jeden Morgen an unserem Haus vorbei mit ihrem uralten Pferd spazieren. Reiten kann sie es schon lange nicht mehr. 
Himmelfahrt. Aufschauen, das Leben preisen. Und das Leid aushalten.
Der, dem die Jünger hinterherschauen, war ein verletzlicher Mensch. Er hat alles erlebt: ein erfülltes, schönes Leben und unendliches Leid am Kreuz. 
Alles ist aufgehoben in der Liebe des Himmels.
Das ist für mich Himmelfahrt. 

Hannah geht

Hannah war damals so ungefähr fünf Jahre alt. Sie wusste schon sehr genau, was sie wollte – und sie ging keinem Streit mit ihrer Mutter aus dem Weg.  Eines Tages reichte es ihr: „Mama, ich gehe jetzt!“ sagte sie wütend und holte, ihren kleinen Koffer aus der Spielecke. 
„Ist gut mein Kind!“ sagte ihre Mutter und half ihr beim Packen. Gemeinsam packten sie alles ein, was man mit fünf so zum Leben braucht: Hannahs Kuscheltier, ihr Lieblingsbuch…
Ihre Mutter schmierte ihr sogar noch ein Brot und schnitt ihr einen Apfel, damit sie unterwegs nicht hungern musste. 
Dann machte Hannah sich auf den Weg. Ihre Mutter stand an der Tür und winkte ihr hinterher. 
Doch schon an der nächsten Straßenecke bekam sie so ein Heimweh, dass sie ganz schnell wieder nach Hause lief. Und da stand ihre Mutter immer noch in der Tür, strahlte sie an und nahm ihr Kind in die Arme: „Das ist aber schön, dass du wieder da bist!“
Wenn Jesus die Geschichte vom verlorenen Sohn erzählt, dann meint er im Grunde genau das: 
Nicht nur unsere Kinder, auch wir Erwachsenen brauchen genau das: Dieses Gefühl, wir können loslassen – wir können uns auf den Weg machen – und wir können doch immer wieder zurückkehren – nach Hause! 
Hannah ist übrigens inzwischen eine sehr selbstbewusste, tolle junge Frau.

Was ich am meisten vermisse

Meine Enkeltochter Ada ist vier Jahre alt. Sie weiß schon sehr genau Bescheid über „Abstandsregeln.“ Sie sagt: „Corona ist ein großer runder Ball.“ Diese Zeit geht auch an unseren Jüngsten nicht spurlos vorbei.
Was wird Ada in Erinnerung bleiben? 
Dass alle Menschen mit Masken rumgelaufen sind, daran wird sie sich später sicher erinnern. 
Was werde ich ihr später erzählen über diese Zeit? Wenn sie mich irgendwann fragt: 
„Was hast du am meisten vermisst?“
Dann werde ich ihr sagen:
„Die Menschen!
Ich habe Dich und Deine Geschwister vermisst, meine Familie, meine Freundinnen und Freunde. Ohne Euch kann ich nicht sein!“
Sicher, wir schreiben Emails, wir telefonieren, skypen, schicken SMS und kleine Videos – das ist schön, aber das ersetzt niemals den persönlichen Kontakt! 
Sie sagen Euch: „Die neue Welt ist digital.“ Lasst Euch das nicht einreden. Die neue Welt ist menschlich, oder sie ist nichts. Die Digitalisierung ist ein Werkzeug, nichts weiter.“
Wenn ich aus dieser Zeit etwas an die nächste Generation weitergeben möchte, dann dies: 
Was ich am meisten brauche sind die Menschen. 
Ich brauche den kurzen Schnack auf dem Markt, die Menschen in der Kneipe, die Stimmung im Stadion. 
Im Moment bleibe ich übrigens öfters stehen, wenn ich unterwegs jemanden treffe. Wir nehmen uns Zeit für ein kurzes Schwätzchen. Wir sind alle ausgehungert nach persönlichen Gesprächen. 
Ja, das wichtigste in meinem Leben sind die Menschen. Ich kann es kaum erwarten, sie alle wieder zu treffen.
In der Bibel heißt es: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ 
Ich würde heute noch einen Schritt weitergehen, ich würde sagen: 
„Du liebst deinen Nächsten wie dich selbst. Er ist ein Teil von dir. 
Vergiss das nie wieder.“ 

Dietrich Bonhoeffer und Gründonnerstag

Heute ist Gründonnerstag.
Wir Christinnen und Christen erinnern uns an das erste Abendmahl: Jesus sitzt mit seinen Jüngern am Tisch. Sie gehören alle zusammen. Dabei sind sie wahrlich keine Helden:
Judas wird ihn verraten. Petrus wird ihn dreimal verleugnen, bevor der Hahn kräht. Jakobus und Johannes werden einschlafen, als Jesus sie am meisten braucht. Aber er schickt keinen von ihnen weg. Sie sitzen alle miteinander am Tisch.
Wie mögen sie sich fühlen, am Tag danach?
Ob sie sich dieselbe Frage stellen wie viel, viel später Dietrich Bonhoeffer? 
Er wurde heute vor 75 Jahren, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges, ermordet. 
Dietrich Bonhoeffer war der Seelsorger der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 – aber nicht mit stolzgeschwellter Brust, sondern getrieben von Ängsten und Zweifeln.
Er schreibt aus seiner Gefängniszelle:
„Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind
mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste
der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind
durch Erfahrung misstrauisch gegen die Menschen geworden… 
sind wir noch brauchbar?“
Heute ist Gründonnerstag. Es ist auch der Tag der Ängstlichen, der Zweifelnden, der Gebrochenen. Wir sitzen alle mit am Tisch. Niemand wird weggeschickt.
Die Liebe führt uns zusammen.