Schlagwort: Respekt

„Straßenbild“

Im Anfang war das Wort.
So beginnt das Johannesevangelium. 
Mit dem Wort beginnt alles. Man kann es nicht zurücknehmen. Einmal ausgesprochen, bleibt es in der Welt, wird mächtig; so wie das Wort unseres Bundeskanzlers über das „Stadtbild“ und die Migranten. 
Er hat gesagt: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“  
Viele Menschen hat er damit verletzt, beleidigt und herabgewürdigt: Sie arbeiten hart, in Krankenhäusern und Pflegeheimen, auf Baustellen und in der Paketzustellung.
Und im Stadtbild, auf der Straße, sollen sie ein Problem sein?
Nun hat der Bundeskanzler versucht, es zu erklären: Er meine ja nur die ohne gültigen Aufenthaltsstatus, die, die sich nicht an unsere Regeln halten. 
Aber wie bitte will er die einen von den anderen im „Stadtbild“ unterscheiden?
Natürlich gibt es Probleme mit einigen jungen Männern, natürlich muss da gehandelt werden, aber ein finsteres Geraune über fremde Menschen im Stadtbild hilft niemandem, ganz im Gegenteil. 
Unser Bundeskanzler hat als Christ einen Eid geleistet, er ist dem Grundgesetz verpflichtet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes…seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft… benachteiligt oder bevorzugt werden“. 
Im Anfang war das Wort. 
Gerade unser Bundeskanzler sollte sein Wort sehr sorgfältig wählen, denn es wirkt, im Guten wie im Schlechten. 

Liebe, Hoffnung, und Respekt

Esther Perel ist Paartherapeutin. Sie ist berühmt für ihr Einfühlungsvermögen und ihre humorvolle und warmherzige Art.
Ihre Eltern Sala und Icek stammen aus Polen. Ein jüdisches Paar. Sie haben das Konzentrationslager überlebt. 
In einem Interview wird Esther Perel gefragt: „Sie wirken immer so offen und optimistisch, so voller Lebensfreude. Wo nehmen Sie das her?“
„Das habe ich von meinem Vater Icek“ hat sie geantwortet. „[Er ist nur drei Jahre zur Schule gegangen, aber er hat sich immer für Menschen interessiert.] Mein Vater hat gesagt: „Wo immer du einem Menschen triffst, achte nur darauf, ob er oder sie dir mit Respekt und Achtung begegnet. Solchen Menschen bin ich auch an den schrecklichsten Orten begegnet – aber natürlich auch den anderen…“ 
„Danach versuche ich, zu leben“, sagt Esther Perel.
Wir reden gerade viel über KI, über Künstliche Intelligenz. Mag sein, dass sie viele unserer Probleme lösen wird. Aber KI steht auch für „Kalte Intelligenz“. Es sind Computer, Maschinen, sie können vielleicht sogar Gefühle simulieren, aber was ihnen fehlt ist: Herz; und das macht uns Menschen aus, sagt die Bibel.
Wir dürfen das Entscheidende niemals vergessen: die wichtigste Bildung, die ein Mensch erfahren kann, ist die Herzensbildung. 
Liebe, Achtung und Respekt vor seinen Mitmenschen. 
Ohne Liebe ist das Leben nichts. Sie ist die Einzige, die wirklich trägt. 
Die Liebe vergeht niemals.

Egon ist nicht vergessen

Egon hat kein leichtes Leben gehabt. Er ist der Briefträger von List auf Sylt gewesen, sozusagen der nördlichste Briefträger Deutschlands. Und wie es früher auf dem Dorf eben so war, wenn jemand Geburtstag hatte – oder Goldene Hochzeit, oder was es sonst so zu feiern gab, dann hat man den Briefträger schon mal reingerufen: „Egon, kum rinn, drink eenen mit!“ 
Und Egon hat sich nie lange bitten lassen. 
So kam es, wie es kommen musste: Egon ist unter die Räder gekommen. Der Alkohol wurde sein bester Freunde. Er ist 1973 verstorben, nur 27 Jahre alt. Eine tragische Geschichte. 
Doch vergessen ist er nicht. Die alten Sylter und Sylerinnen erinnern sich noch an ihren Briefträger Egon Jepsen. Und einer von ihnen hat ihm ein Denkmal gesetzt. Er hat ihm einen Grabstein gestiftet, mit einer ganz schlichten Aufschrift: „Hier ruht Egon.“ Und so ruht er nun auf dem wunderschönen Dünenfriedhof von List, ganz in der Nähe von Wolfgang von Gronau, einem berühmten Pionier der Luftfahrt. 
Jeder Mensch mit seiner Liebenswürdigkeit und seiner Tragik verdient es, erinnert zu werden, denn wir sind und wir bleiben Gottes Kinder. 
So wie Egon.

Heiligabend

Wissen Sie, was mir in diesem Jahr an der Weihnachtsgeschichte besonders wichtig ist?
Niemand gibt kluge Ratschläge!
Zwei Menschen gehen in die Dunkelheit. Getrieben von finsteren Mächten. Ein Akt der Willkür. Sie können sich nicht wehren.
Die ganze Weihnachtsgeschichte atmet Respekt und Achtung vor dem Schicksal dieser beiden Menschen.
Die Hirten kommen und sehen sie in ihrem tiefen Elend.
Doch sie wahren Abstand.
Es fällt kein Satz wie „Jetzt müsst ihr aber…“ oder „Wie konntet ihr nur?“
Die Hirten überschreiten niemals die Grenze, die Menschen beschämt und noch tiefer ins Elend stürzt.
Kein Vorwurf. Kein Ratschlag.
Die Hirten sind einfach nur da, nehmen die Situation an.
Dann kommen die Weisen aus dem Morgenland.
Weitgereiste Männer mit viel Erfahrung und einem reichen Wissensschatz.
Hier schweigen auch sie.
Geheimnis der Heiligen Nacht.

(Auszug aus meiner Heiligabend Predigt)

Ihnen und Euch allen: Frohe Weihnachten!

Danke!

Ge – danken zum Erntedank für die Braunschweiger Zeitung

Ich stehe an der Wursttheke im Supermarkt. Der Mann vor mir ist ganz vertieft in all die Leckereien. „Geben Sie mir noch hundert Gramm von der feinen Leberwurst. Und sieben Scheiben von der Salami – nein, nicht von der! Von der rechts daneben! Ja genau. Und dann noch hundert Gramm Schinken. Aber hauchdünn, ja?“
Er schaut nicht ein einziges Mal auf, nimmt die Verkäuferin überhaupt nicht wahr. Als sie ihm sein Paket über den Tresen reicht, ist er mit den Augen schon am Käsestand.
Und ich denke an den Sommerurlaub: an den kleinen Laden am Strand in der Bretagne. Ich habe dort jeden Morgen mein Baguette gekauft. Die Schlange dort war viel länger als hier, aber wir hatten immer viel Spaß: die Verkäuferin hat mein Französisch korrigiert und mir erzählt, wie das Wetter wird. Sie hat gefragt, woher ich komme und wie es mir an „ihrem Strand“ gefällt.
Seltsam, denke ich. Warum gelingt das im Alltag nicht? Warum kann dieser Mann nicht mal Danke sagen? Liegt es am Stress? Oder ist es einfach nur Gedankenlosigkeit? Ein Mangel an Respekt? Oder muss man sich für eine Dienstleistung nicht bedanken?
Morgen ist Erntedank. Und ich glaube, dass genau damit das Danken anfängt: dass wir einander wahrnehmen, dem anderen für das danken, was er mir schenkt, jeden Tag und einfach so, dass wir ein Lächeln teilen und nicht nur Geld gegen Ware.
Wofür werde ich morgen im Gottesdienst besonders danken? Für Essen und Trinken, natürlich. Für das Dach über dem Kopf und die Schönheit der Natur. Aber auch für all die Menschen, die jeden Tag für mich da sind, die dafür sorgen, dass es mir gut geht: für die Verkäuferin auf dem Markt, die sich freut, wenn sie noch ein Brot für mich hat und die bedauernd lächelt, wenn ich mal wieder zu spät dran bin.