Schlagwort: Glaube

Rücken…

Mir ist der Schmerz in den Rücken gefahren. Aus dem Nichts. Von einer Sekunde auf die andere. Ich kann kaum noch auftreten, mich nur noch mühsam fortbewegen, schlafe schlecht. Was für eine Qual! Doch dank meiner Physiotherapeutin, viel Wärme und ein paar Schmerztabletten ist es schnell wieder vorbei. Ich kann mich wieder ganz normal bewegen. Was für ein Segen!
Gut, ich war auch ein bisschen wehleidig.
Ganz anders Frau Schneider. Sie hat große Probleme mit ihren Knien, hat immer Schmerzen. Doch sie lässt sich dadurch nicht aufhalten. Frau Schneider kommt jeden Samstag zu mir in die Marktandacht. Sie geht am Rollator, aber aufrecht – und nach der Andacht noch über den Markt. Und wenn es noch so schwer ist, noch so langsam geht: Sie lässt sich nicht vom Leben abhalten.
Diese Frau ist für mich ein Vorbild: Sie verschweigt ihre Leiden nicht. Aber sie lässt sich auch nicht davon unterkriegen. 
Wenn ich Frau Schneider treffe, dann denke ich oft an einen uralten irischen Segen. Dort heißt es:  

„Mit all seinen Mühen und seiner Plackerei, das Leben ist immer noch schön. Versuche, glücklich zu sein.“ 

Das will ich versuchen, auch wenn es mal wieder zwickt. 

Irgendwas geht immer

Wir sitzen bei einer Feier am selben Tisch.
Mein Tischnachbar fragt mich, wie es so ist in meinem Beruf als Pastor. Ich bin nicht so gut drauf und fange an zu klagen: „Ach, bei uns in der Kirche ist gerade schwierig. Eine Strukturreform jagt die nächste. Was das für Zeit kostet! Man kommt kaum noch zur eigentlichen Arbeit.“
Er nickt, fragt nach, hört mir geduldig zu. 
„Und Sie?“ frage ich irgendwann, „was machen Sie?“
„Ich bin der Chef einer großen Firma. Wir sind in den letzten drei Jahren fünfmal verkauft worden. Zweimal wurde ich sofort entlassen. Einmal durfte ich nicht mal mehr meine privaten Sachen aus dem Büro holen. Aber nach vier Monaten haben sie mich dann zurückgeholt.“
Ich schüttele entsetzt den Kopf.
Er wehrt ab: „Ach wissen Sie, ich habe in dieser Zeit gelernt: Irgendwas geht immer.“  
In diesem Moment fühle ich mich ganz klein.
Als Pastor kenne ich doch den Bibelvers:
„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.“
Aber nicht ich verbreite hier Trost und Zuversicht, sondern dieser Mann.
Irgendwas geht immer.
Der Satz beschreibt meinen Glauben ganz gut.

Ein bisschen mehr Amsel

Heute Morgen hat mich eine Amsel geweckt. Mitten im Januar. Es ist dunkel und kalt – und sie singt ihr Frühlingslied. Sie singt von dem, was ich eigentlich ja auch weiß: Es wird wieder Frühling. Ich kann mich drauf freuen. Klar, es bleibt noch eine ganze Zeit dunkel und kalt. Aber ganz langsam wird es schon wieder heller. 
In dieser schweren Zeit wünsche ich mir ein bisschen mehr Amselgesang. Zu oft tue ich so, als ob es für immer Winter bleibt. Als ob ich nur noch diese Landschaft sähe: kahle Bäume, grauer Himmel.
Dabei muss ich mir nur einen Moment Zeit nehmen und genau hinschauen: Im Garten wachsen Winterlinge, Schneeglöckchen, Gänseblümchen. Die Boten des Frühlings zeigen sich schon. 
Und dann höre ich Gesang der Amsel. Wie schön. Sie erinnert mich:
Auch in diesen so harten Zeiten, es wird wieder Frühling.
Der indische Dichter Tagore schreibt: „Der Glaube ist der Vogel, der das Tageslicht spürt, bevor der Morgen dämmert.“ 

Was glaubst du?

Der Sohn sitzt lange am Sterbebett seiner alten, lebenssatten Mutter. 
Er hat sich nie getraut, sie zu fragen, heute ist die letzte Gelegenheit. 
„Glaubst du an Gott?“ fragt er sie schließlich.
Sie zögert einen Moment. 
„Ich weiß nicht…“ sagt sie dann. 
„Zumindest bete ich zu ihm.“
Sie weiß nicht. Aber sie betet. Sie weiß, zu wem sie sprechen kann. 
Der Glaube ist manchmal nur eine vage Hoffnung. 
Aber was heißt hier „nur?“ 
Hoffnung ist im Leben oft genug mehr, als man erwarten kann.
Der Sohn wird mutiger. Er fragt weiter: 
„Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?“
„Ach nein!“ antwortet sie. „Einmal leben reicht nun wirklich hin!“ 
„Das meine ich nicht. Glaubst du, dass du ins Paradies kommst?“
Die alte Frau lächelt, schüttelt den Kopf: „Dazu fehlt mir die Phantasie.“
Sie braucht nicht viel, kein Konzept, keine großen Bilder. 
So ist es oft mit dem Glauben.
Manchmal ist da nur ein Hauch, eine Ahnung, ein Suchen. Man kann es kaum in Worte fassen.
„Zumindest bete ich zu ihm“ sagt sie. 
Sie betet zu einer großen Kraft, die sie nicht kennt, von der sie wenig weiß.
Es ist wie mit allem Großen im Leben – auch mit den Menschen, die ich liebe. 
Ich kenne sie nicht wirklich. Oft genug habe ich nur eine vage Ahnung von dem, was sie gerade bewegt. 
Jeder Mensch hat ein Geheimnis. Jeder Mensch ist ein Geheimnis.
Lieben ist immer auch glauben: vertrauen, ohne zu wissen. 
Glaubst du an Gott?
Ja. Auch wenn ich dir nicht genau sagen kann was und warum. 
Aber ist das so wichtig?

Die Zeit zurückdrehen

Zurück in die Gegenwart 

Bei uns im Esszimmer steht eine wunderschöne alte Uhr. Sie ist ein Erbstück aus der Familie meiner Frau. Jeden Sonntagmorgen ziehe ich sie auf. Und dann ist sie nicht mehr zu halten, dann rennt sie los. Die ersten drei Tage der Woche ist sie ihrer Zeit weit voraus, mindestens zwei, drei Minuten pro Tag. Ich drehe ihren Minutenzeiger immer wieder zurück. So. Jetzt stimmt ihre Zeit wieder. Die Uhr ist genau in der Gegenwart, im Hier und Jetzt.
Ach, wenn das bei mir doch auch so einfach ginge. Es gibt Tage, da bin ich wie aufgezogen, meine Gedanken sind wie Trolle. Sie jagen mich weit in die Zukunft. Schon beim Aufwachen schreien sie mich an: „Los! Sieh zu, dass du hochkommst! Es gibt viel zu tun!“ An diesen Tagen bin ich ein Getriebener, denke nur darüber nach, was ich noch alles zu tun habe und wie ich das bloß schaffen soll. Ich bin dann nie ganz bei der Sache, nie ganz bei dem, was ich gerade tue.
Dabei sind genau das die schönsten Momente in meinem Leben: Wenn jemand den Zeiger zurückdreht, mich in die Gegenwart holt, wenn ich die Zeit vergesse.
Ich sehe mit meiner Enkeltochter zu, wie sie mit ihrem neuen Bauernhof spielt. Sie ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Ich genieße die Sonne bei einem langen Spaziergang mit meiner Frau. Ich vergesse die Zeit beim Gespräch mit einem Freund. Nie spüre ich das Leben so intensiv wie in diesen Momenten. 
Ich drehe den Zeiger an unserer alten Uhr zurück, hole tief Luft und denke: „So. Jetzt sind wir beide genau da, wo wir hingehören: in der Gegenwart, in diesem Moment.“

Gott, Geheimnis des Lebens, ich glaube, dass die Gegenwart, dass genau dieser Moment     ein Geschenk ist. 
Ich glaube, hilf meinem Unglauben…

Was weiß ich wirklich?

Eine alte Legende erzählt von vier blinden Weisen.
Ihr König bittet sie: „Findet heraus, was ein Elefant ist!“
Sie machen sich sofort auf den Weg und ertasten das Tier.
Als sie wieder zum König kommen, sagt der erste Weise:
„Ein Elefant ist wie ein langer Arm!“
„Unsinn! Ein Elefant ist wie ein riesiger Fächer!“ sagt der zweite.
Der Dritte meint: „Nein! Ein Elefant ist wie eine dicke Säule!“ 
Der vierte Weise behauptet: „Gar nicht wahr! Ein Elefant ist wie eine Schnur mit Haaren am Ende!“
Die Weisen fangen an, sich heftig zu streiten. 
„Hört auf!“ ruft der König,  
„Nun weiß ich, was ein Elefant ist:
Ein Elefant hat einen Rüssel wie einen langen Arm. 
Er hat Ohren wie riesige Fächer, 
Beine wie dicke Säulen und einen Schwanz wie eine Schnur.
Ich danke euch!“
Da werden die Weisen still.
Sie haben verstanden. 
Jeder hatte nur einen Teil des Elefanten ertastet – und jeder hatte gedacht, er kennt die ganze Wahrheit.
Ich denke, mit unserem Glauben, mit dem, was wir „Gott“ nennen, ist es genauso. 

Hex! Hex!

Meine Enkeltochter Ada ist drei Jahre alt. Sie liebt „Bibi und Tina.“ Das ist eine Zeichentrickserie über zwei Mädchen, die viele Abenteuer erleben. Eine von beiden, Bibi, kann „zaubern.“ 
Ada sitzt also vor dem Fernseher, schaut Bibi und Tina und ruft: „Opa! Limo!“ Ich frage sie: „Ada, wie heißt das Zauberwort?“ Sie strahlt mich an: „Auf die Plätze – fertig – los!“ Ich muss lachen. Ada hat gewonnen. Die Limo kommt sofort.
Ich erzähle die Geschichte einem Freund, seine Tochter Mia ist im selben Alter. 
Er lacht und nickt: „Das kenne ich. Mia hatte neulich im Kindergarten Zoff mit ihrer besten Freundin. Abends hat sie dann gebetet: 
„Lieber Gott, ich habe mich heute mit Marie gestritten. 
Bitte, bitte mach, dass Morgen alles wieder gut ist!
Hex! Hex!“
Ja, Kinder beten ganz unbekümmert. Sie wollen, dass ihre Probleme gelöst werden, ganz schnell und sofort. Kinder sagen dann schon mal „Hex! Hex!“ statt „Amen.“ Ich würde mich das nicht trauen. Aber wenn ich verzweifelt bin, wenn ich keinen Ausweg mehr weiß, dann fühle ich mich ganz genauso. Dann will ich auch, dass mein Gebet Zauberkraft hat: „Lass alles wieder gut werden! Ganz schnell und einfach so!“
Doch leider funktioniert das nicht. Ein Gebet ist keine Zauberformel. 
Bei „Bibi und Tina“ klappt das übrigens auch nicht. Wenn Bibi ruft „Hex! Hex!“ dann wird nicht alles sofort wieder gut. Aber: Die beiden Mädchen haben wieder Mut, sie trauen sich was. Und wirklich: Ihre Pferde schaffen den Sprung über den Graben! Doch springen müssen sie schon selbst. 
Wer betet lässt los und vertraut auf die Kraft, die uns hilft, im Leben zu bestehen.  
Ob Bibi gar nicht zaubert, sondern betet? Wer weiß…

Gesegnetes Neues Jahr


Wir begegnen uns zufällig in der Fußgängerzone. 
Ein kurzes Hallo und ich wünsche dem jungen Mann ein gesegnetes neues Jahr. 
„Gesegnet?“  fragt er und lächelt resigniert: 
„Glauben Sie wirklich, es gibt einen Gott, der sich für mich interessiert?“ 
Der junge Mann hat ein schweres Jahr hinter sich. Beruflich und privat. 
Er ist sehr selbstkritisch. Er hat immer geglaubt: Wenn du dich anstrengst, wenn du alles richtig machst, dann wird alles gut. Gott kann er sich nur als jemanden vorstellen, der alles in Ordnung bringt. 
Ehe ich etwas erwidern kann, ist in der Menge verschwunden. 
Schade.  
Ich hätte ihn gern an Maria und Joseph erinnert. 
Was haben die beiden falsch gemacht? Hätten sie dem Befehl des Kaisers nicht gehorchen sollen? Hätte Joseph auf seinem Recht auf eine vernünftige Unterkunft für seine Frau pochen sollen? Naive Fragen, ganz klar. Aber so denken wir, damit alles seine Ordnung hat. Und wenn nicht, dann muss irgendeiner Schuld haben. 
Maria und Joseph ziehen voll Vertrauen nach Bethlehem. Sie werden Opfer von Willkür und Gleichgültigkeit. Und Gott befreit sie nicht aus ihrer Not. Im Gegenteil. Auf den Stall folgt die Flucht nach Ägypten. Aber ihr Glaube wird nicht erschüttert, er wird verwandelt. 
Sie begegnen dem Gott, der sich für sie interessiert.
Sie sehen ihn in den Hirten, die ihre Scheu überwinden und Maria und Joseph in ihrem Elend besuchen. Sie spüren seine Kraft in den drei Weisen aus dem Morgenland, die das Licht der Welt suchen und es finden in diesem wehrlosen Kind. 
Sie fragen nicht nach dem Warum. 
Sie feiern das Leben, mitten in Wahnsinn und Angst. 
Das ist die Geburt des Glaubens. 
Das ist Segen – und nicht der naive Glaube, es müsse alles glatt gehen im Leben. 
Das hätte ich dem jungen Mann gern erzählt, damit er weiß, was ich meine, wenn ich ihm wünsche:
Gesegnetes neues Jahr! 

Kaffee kochen

Kaffee kochen
Wir brauchen eine neue Kaffeemaschine. Da mache ich mich doch erst mal im Netz schlau, wie man „richtig Kaffee kocht.“
Ich lese und staune: „Am besten kaufen Sie sich einen guten alten Porzellanfilter. Dann brauchen Sie noch eine Kaffeemühle, ein Thermometer und eine Waage. Jetzt kann es losgehen: Erwärmen Sie das Wasser auf 94 Grad. Inzwischen mahlen Sie den Kaffee und wiegen ihn ab. Dann feuchten Sie den Papierfilter leicht an, füllen das Kaffeemehl ein und geben erst mal einen Schluck heißes Wasser…“
Ja geht´s noch? Wann soll ich das denn machen? Ich brauche morgens eine Tasse Kaffee, und zwar ruck zuck. Am besten nur schnell auf einen Knopf drücken…
Für den wahren Genießer ist das Kaffeekochen keine lästige Arbeit, sondern Genuss. Und der fängt schon bei der Zubereitung an: der Zauber des Augenblicks.
Es ist schon komisch: wenn mir jemand verspricht, etwas geht einfacher und schneller, dann leuchten meine Augen. Schneller und einfacher ist immer besser. Hauptsache ich spare Zeit. Tempo um des Tempos willen.
Dabei weiß ich genau: Alles braucht seine Zeit.
Kaffee kochen als Übung in Achtsamkeit – das wäre doch was. Vielleicht sollte ich mir tatsächlich wieder so einen alten Porzellanfilter besorgen und wenigstens am Wochenende in aller Ruhe einen Kaffee kochen.
Ein bisschen Poesie im Alltag wär doch schön.

Glauben Sie an Gott?

„Glauben Sie an Gott?“
Das fragt in der Krankenhausserie „In aller Freundschaft“ ein 16jähriger, schwer kranker Junge den Chefarzt. „Nein!“ sagt der Mediziner spontan; und dann, zögernd: „Ich hatte mal eine Nahtoderfahrung. Seitdem bin ich mir nicht mehr so sicher, ob da wirklich nur Synapsen und Hormone am Werk sind.“
Der Arzt glaubt, dass da etwas sein könnte, aber der Begriff „Gott“ passt nicht.
So geht es vielen. Das Wort „Gott“ löst bei ihnen Unbehagen aus. Sie meinen: „Wenn ich an „Gott“ glaube, dann kaufe ich ein uraltes, vollmöbliertes Haus. Für meine eigenen Vorstellungen ist da kein Platz mehr.“ Darum ist das Wort „Gott“ für sie schwierig.
Meinen Konfirmanden geht das ähnlich. Die sagen grinsend: „Herr Pastor, ich glaube nicht, dass Gott die Welt an sieben Tagen erschaffen hat.“ Sie sind ganz erstaunt, wenn ich dann antworte: „Ich auch nicht. Für mich ist die Schöpfungsgeschichte ein Bild für die Liebe, die das alles erschaffen hat.“
Glauben ist nicht Wissen. Glauben meint Suchen, Tasten, Fragen. Das ist mühsam, fordernd, aber auch wunderschön. Wunderschön sind die Momente, wenn mein Suchen ans Ziel kommt, meine Fragen eine Antwort finden: Gott ist die Liebe. Und ich kann sie sehen, fühlen, riechen: im Lächeln eines Kindes. Im Wind auf meiner Haut. Im Duft einer Rose. „In aller Freundschaft“