Schlagwort: Freiheit

Sorge dich nicht!

Ich stehe im Garten und schaue noch oben. 
Über mir übt eine Gruppe junger Schwalben fliegen. Ich habe sie die „Schwalben Gang“ getauft.
Jesus sagt: „Sorgt Euch nicht! Seht die Vögel unter dem Himmel. Sie säen nicht, sie ernten nicht und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ 
„Na ja,“ denke ich, „die Schwalbeneltern haben sich schon sehr um ihre Jungen gesorgt: Sie haben das Nest repariert, dann gebrütet und dann die Jungen gefüttert, von morgens bis abends.
Ob die überhaupt mal zur Ruhe kommen?“
Neulich habe ich dazu eine spannende Zahl gefunden. 
Es ging um die Frage: Wie viel Zeit ihres Lebens sind Vögel in Bewegung? 
Also wenn ich an meine Schwalben denke – bestimmt 90%, oder?
Falsch!
Vögel sind nur ein Drittel ihres Lebens mit Brüten, Füttern. Fliegen beschäftigt. Die meiste Zeit ruhen sie sich aus, baden, putzen ihr Gefieder… Und wir Menschen? 
Egal, ob im Beruf oder in der Freizeit: Wir sind ständig beschäftigt, haben immer was vor, müssen was schaffen.
Jesus sagt: „Sorgt euch nicht um morgen, es reicht, dass jeder Tag seine eigne Plage hat.“
Genau so leben die Schwalben: Sie tun immer das, was gerade dran ist: Nest bauen, brüten, die Jungen füttern. Dann ist gut. 
Wenn wir das könnten, dann hätten wir auch Zeit, einfach mal so. Wir wären frei, könnten fliegen, zumindest in Gedanken…

Smartphone und Freiheit

Wir haben uns lange nicht gesehen. Jetzt stehen wir in uns der St. Nicolai Kirche in Göttingen gegenüber. Wir freuen uns und wir wollen uns nicht wieder aus den Augen verlieren, also: noch schnell die Handynummern austauschen. Wir zücken unsere Smartphones. Da kommt ein Kollege auf uns zu und sagt: „Ihr wisst schon, dass Ihr hier in der Kirche seid, oder?“ Wir schauen uns an. Was soll das denn?
Ein paar Tage später lese ich in dem Roman „Willkommen in Lake Success“ folgende Episode: Barry ist pleite, seine Ehe am Ende. Er ergreift die Flucht. Barry wirft sein Handy in die Mülltonne, steigt in den nächsten Bus und fährt los. Als er sich ein wenig beruhigt hat, will er doch noch mal schnell im Büro anrufen. Er greift in die Sakkotasche. Er hat Aber kein Smartphone mehr! 
Er ist frei! 
Ja, es stimmt: Es macht es mich nicht frei, dass ich immer und überall erreichbar bin, ganz im Gegenteil. Am schlimmsten ist es, wenn ich vor einem Gespräch vergessen habe, das Handy abzustellen – wie peinlich! Aber ich fühle mich auch unwohl, fast nackt, wenn das Ding nicht in Reichweite liegt. Meine wichtigste Verbindung zur Welt ist ein kleiner, schwarzer Kasten. 
Romanheld Barry schmeißt sein Smartphone weg. 
Soweit werde ich nicht gehen. Aber es muss Orte der Freiheit geben. Da ist das Smartphone tabu. 
Die Kirche ist so ein Ort.

Freiheit

Freiheit

Cora ist Sklavin. Sie lebt in den Südstaaten der USA. Das Leid, dem sie und ihre Mitsklaven ausgesetzt sind, ist unbeschreiblich. Die Knochenarbeit auf den Baumwollfeldern, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Sechseinhalb Tage die Woche. Die Folter und die Übergriffe durch ihre Aufseher und „Besitzer,“ Willkür und Vergewaltigung. Familien gibt es nicht. Die Kinder werden verkauft, sobald sie arbeiten können. Cora erträgt das nicht länger. Sie will frei sein. Frei von Gewalt, Willkür und Hass. Sie flieht.
Ihr Schicksal erzählt der Roman „Underground Railroad“ von Colson Whitehead.
Nach unendlichen Entbehrungen strandet Cora schließlich auf der Valentine Farm. Dort leben geflohene Sklaven und von ihren „Besitzern“ freigelassene. Sie lernt lesen. Sie lernt politisch diskutieren. Sie erlebt was es heißt, frei zu sein. Natürlich hat sie auch Pflichten. Auch auf dieser Farm muss sie hart arbeiten. Hier baut man keine Baumwolle an, sondern Mais. Doch zu ihrem Erstaunen macht ihr das nichts aus. Sie sagt: „Bis jetzt dachte ich immer: Ich bin frei, wenn ich tun und lassen kann, was ich will. Wenn ich geschützt bin vor Willkür und Unrecht. Aber das ist nicht alles.“ Cora erkennt:

„Freiheit ist eine Gemeinschaft, die für etwas Schönes und Seltenes arbeitet.“

Morgen ist Palmsonntag. Wir denken an den Einzug Jesu in Jerusalem. Er kommt nicht allein. Jesus kommt mit Menschen, die genau das tun: Sie arbeiten gemeinsam für etwas Schönes und Seltenes. An seinem Tisch sind alle gleich: Männer und Frauen, Gebildete und Ungebildete, Fremde und Freunde. Dafür bejubeln sie ihn. Dafür werden sie ihn hassen und kreuzigen.
Doch auf Karfreitag folgt Ostern.
Die Freiheit der Liebe ist stärker als der Tod.

 

Rasenroboter

Der Rasenroboter stoppt vor meinen Füßen, dreht sich um die eigene Achse und holpert quer über unseren Sportplatz. Ich schaue ihm eine Weile zu.  Und staune:
Ich dachte immer, die Dinger arbeiten systematisch, Bahn für Bahn. Aber so ist das ist gar nicht. Als die selbstfahrende Mähmaschine an der Eckfahne anlangt, fährt sie plötzlich in Richtung Mittelkreis. So geht es weiter: Der Rasenroboter  brummt chaotisch kreuz und quer über den Platz. „Wie kriegt das Teil den Rasen ohne System so kurz?“ frage ich mich.
Ich muss an meinen Tageslauf denken. Der ist oft genug genau so wie der Weg vom Rasenroboter: Morgens, bevor es losgeht, mache ich immer erst mal einen Plan: „Als erstes beantwortest du deine Emails. Dann räumst du deinen Schreibtisch auf und dann … In dem Moment klingelt das Telefon – und mein ganzer schöner Plan ist über den Haufen geworfen. Ab jetzt laufe ich kreuz und quer durch meinen Tag, wie so ein Rasenroboter, laufe in Sackgassen, mache Kehrt, stundenlang. Wenn ich dann endlich Feierabend habe, denke ich oft: „O Mann! War das ein Chaos! Hast heute wieder überhaupt nichts geschafft.“ Aber das stimmt nicht. Ich habe nur das nicht geschafft, was ich mir vorgenommen hatte. Mein schöner Plan hat nicht funktioniert.
Unsere Fußballer sagen übrigens, „Wir hatten noch nie so einen gepflegten Rasen wie mit diesem Mähroboter.“ Das ist mir ein Rätsel! „Wie kann das funktionieren, dass bei diesem Ding, das acht Stunden am Tag planlos über das halbe Hektar Grün holpert so ein super Ergebnis herauskommt? Wie kommen die Ingenieure bloß auf so eine Idee?“ Also, ich habe nachgelesen. Die Entwickler sagen: „ Das war ganz einfach! Wir haben uns das bei den Schafen abgeguckt. Die laufen auch nicht in Reih und Glied über die Wiese, sie knabbern mal hier und mal da. Aber am Ende ist die Wiese kurz.“
Seit ich das weiß, muss ich schmunzeln, wenn ich den Mähroboter sehe:
Im Grunde ist es ja genau das, was der Jesus uns immer wieder rät: Sorge dich nicht, was der Tag bringen wird. Lass dich ruhig ablenken! Bleib einfach mal stehen! Staune über der Lilien auf dem Felde. Sie sind so schön! Und wirf alle deine Pläne sofort über den Haufen, wenn ein Mensch deine Hilfe braucht – so wie der barmherzige Samariter. Pläne sind gut. Aber ein sattes, buntes, reiches Leben wirst du nur haben, wenn du dich auch mal um die eigene Achse drehst, kreuz und quer durch den Tag holperst.

Himmelfahrt?

Die Hummel kracht verzweifelt gegen die Scheibe.
Das Leben ist dahinter; der blaue Himmel, die Blumen, das saftige grün. Sie kann es sehen, doch sie kommt nicht hin.
Das Fenster ist einen Spalt breit offen. Aber sie kann den Spalt nicht finden. Weil sie Leben mit Panik verwechselt. Weil ihr Leben nur noch Panik ist.
Du siehst das Leben, dein Leben. Aber du kommst nicht hin. Rast an der Scheibe lang. Hoch und runter. Hoch und runter. Hörst das Leben nicht mal mehr. Bist gefangen in den Geräuschen deiner Angst. Und wenn dich jemand in die richtige Richtung stupsen willst, dann wehrst du dich. Weißt ja genau, wo es langgeht. Rauf und runter. Rauf und runter.
Irgendwann bist du am Ende.
Sitzt resigniert auf der Fensterbank.
Wartest auf den Tod.
Ich stülpe ein Glas über die Hummel. Bringe sie nach draußen. Sie sitzt auf dem Rand. Zögert einen Moment, als ob sie es noch gar nicht fassen könnte und dann fliegt sie davon. Ihre ganz persönliche Himmelfahrt.
Du wirst paar Kreise ziehen. Die Freiheit genießen. Und dann? Dasselbe wie immer. Nektar sammeln, zum Nest fliegen, Nektar sammeln.
Alles wird sein wie immer.
Oder?

Tag der Freiheit

Martin Luder
entdeckt das
„th“
im griechischen „eleutheria – Freiheit“
für sich.
Und nennt sich am 31. Oktober 1517
das erste Mal
mit seinem neuen Namen:
Martin Luther.

(nach Heinz Schilling, Martin Luther Rebell in einer Zeit des Umbruchs)

Pfingsten oder: Tauben und Wellensittiche

Mein Wort zum Sonntag für die Braunschweiger Zeitung.
Frohe Pfingsten!

Von Tauben und Wellensittichen
Auf einem Spaziergang steht plötzlich eine Frau vor mir. Sie streckt mir ihren Arm entgegen und bittet mich freundlich aber bestimmt: „Bitte warten Sie einen Moment!“
Ich halte an. Mitten auf dem Weg steht ein Vogelkäfig. Von außen flattert ein knallgelber Wellensittich verzweifelt gegen die Gitterstäbe. Er findet den Eingang nicht. Irritiert schauen wir zu. Nach einer ganzen Weile hat er es endlich geschafft. Er ist im Käfig!
Gerettet?
Du meine Güte!
Manchmal lebe ich genau so, vermesse nur die Größe meines Käfigs, bin gefangen in den Grenzen meiner Erfahrungen: „Das haben wir schon immer so gemacht!“
Ich verstecke mich hinter den Gitterstäben meiner Vorurteile und Ängste:
„Das darf man nicht!“ „Das klappt doch nie!“
An Pfingsten feiern wir den Heiligen Geist.
Sein Symbol ist die Taube.
Die Taube ist frei. Sie ist ausdauernd, kann unglaublich weite Strecken fliegen. Keiner weiß wie, aber sie findet immer wieder nach Hause zurück. Die Taube gilt als scheu und treu.
Bei der Taufe Jesu erscheint sie am Himmel und es ist eine Stimme zu hören: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Ich höre darin eine Verheißung an jeden Menschen, ein Versprechen auf Freiheit und Heimat. „Du kannst loslassen. Verlass den Käfig deiner Ängste und Vorurteile. Folge deiner Bestimmung. Lebe in Freiheit und du wirst dein Ziel erreichen.“
Pfingsten ist das Fest der Freiheit.

Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini

Im Käfig

Beim Joggen steht plötzlich eine Frau auf dem Gehweg und bittet mich, anzuhalten.
Mitten auf dem Weg steht ein Vogelkäfig. Draußen fliegt ein gelber Wellensittig verzweifelt gegen die Käfigstangen.
Er findet den Eingang nicht.
„Ich habe ihn hier schon ein paar Tage rumfliegen sehen“ sagt die Frau. „Lange hätte er nicht mehr durchgehalten.“
Dann, endlich! Der Wellensichtig findet die Tür.
Er ist gerettet.
Im Käfig.