Schlagwort: Leben

O du mein Smartphone…

Ein Abend wie gemalt. Der Mond steht am Himmel, die Sterne funkeln.
Wir sitzen im Biergarten am Okerstrand, genießen den Spätsommer.
Am Nachbartisch ein junges Pärchen. Sie strahlt ihn mit großen Augen an.
Doch er?
Ich kann es nicht fassen! Er bekommt das gar nicht mit! Sein Blick ist starr nach unten gerichtet, auf sein Smartphone. Er tickert irgendeine Nachricht in das Gerät. Wahrscheinlich teilt er seinen Kumpels mit, wo er gerade ist. Triumph der Technik!
Der Zauber des Augenblicks ist verflogen.
Sie schaut gelangweilt in ihr Weinglas, er starrt weiter in sein Smartphone.
Als ich meinen Konfirmanden von dieser Szene erzähle, reagieren sie fast trotzig: „Ja Herr Meiners, so ist das heute! Man kann nicht mehr ohne! Schauen Sie sich doch mal um! In der Fußgängerzone! Im Bus! Sogar auf dem Fahrrad! Alle haben so ein Ding in der Hand. Man muss immer „on“ sein. Wer nicht dabei ist, ist so was von raus!“
Es stimmt. Überall starren Menschen auf diese kleinen Geräte und vergessen die Welt um sich herum. Ich kenne das auch. Es ist faszinierend: Ich sehe, was mein bester Freund in Sydney grade macht, höre Musik, die ich liebe, verbinde mich mit anderen, die das gleiche mögen wie ich, diktiere einen guten Gedanken für die Predigt am Sonntag.
Doch kein Mensch muss immer„on“ sein. Wir müssen lernen, mit den Dingern vernünftig umzugehen. Im Konfirmandenunterricht schreiben wir jetzt die „10 Gebote für den Umgang mit dem Smartphone.“ Und am Anfang steht die Erkenntnis:
Wer glaubt, ein Gerät kann einen Menschen ersetzen, den strahlen keine großen Augen an.

Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini

Abraham

Wort zum Sonntag für die Braunschweiger Zeitung:

Urlaub in der Bretagne.
Ich gönne mir jeden Morgen ein kleines Ritual: setze mich auf die Terrasse eines Cafés, trinke einen Espresso und genieße den herrlichem Blick auf den Atlantik.
Am Nachbartisch sitzt ein alter Mann: vom Wetter gegerbtes Gesicht, grauer Bart und eine Pfeife im Mund. „Ein alter französischer Seebär“ denke ich. „Der ist bestimmt lange Jahre mit seinem Fischerboot aufs Meer gefahren und jetzt genießt er seinen Ruhestand.“
Nach drei Tagen spricht er mich an – im besten Schwiizerdütsch! Ein Urlauber, genau wie ich.
Er hat natürlich auch gerätselt, was ich wohl für einer bin und auf einen sozialen Beruf getippt. So ganz falsch liegt er damit ja nicht. „Und Sie?“ frage ich, „was machen Sie?“ „Ich bin von Haus aus Psychologe“ erzählt er, „habe viele Jahre in Kinder- und Jugendheimen gearbeitet. Aber als die Kinder aus dem Haus sind, haben meine Frau und ich noch mal ganz von vorne angefangen. Wir sind nach Schweden gezogen, an den Siljansee. Da bieten wir im Winter für die Touristen Schlittenfahrten an. Wir haben über dreißig Hunde – und natürlich ein paar Hühner, Schafe…“
„Und?“ frage ich, „Wie ist das neue Leben?“ Er lächelt „Ich habe Jahre gebraucht, um mich zu gewöhnen. Unser Dorf hat fünfzig Einwohner. Der nächste Nachbar wohnt zweihundert Meter weiter. In der Stadt hast du immer was vor. Die Zeit ist knapp. Und jetzt? Wenn der Nachbar vorbeikommt, gibt es erst mal einen Kaffee. Immer. Die Männer reden nicht dauernd über ihren Beruf. Aber sie fragen dich sofort: „Wann warst du das letzte Mal angeln und was hast du gefangen?“
Der Mann am Meer erinnert mich an Abraham. Er ist im Alter gemeinsam mit seiner Frau in ein fremdes Land gezogen. Er hat ein neues Leben und einen neuen Glauben gefunden.
Er wirkt glücklich.
Das macht Mut.

Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini

aufgelesen…

… ein Gedicht von Uwe Dick, es lässt mich nicht mehr los.
Laut gelesen entwickelt es seine ganze Kraft – und sein Lächeln…

wer weiß denn…

wer weiß denn ihr gräserzungen
fabelschatten ob im innern
des denkens – unergründlich
wie das nachtaug der kröte
oder die wege des quarzes
durch den granit – statt eines
letzten wortes nicht doch
ein lächeln beschlossen ist…

jenes o kerkerherz, das du
deiner liebe – wie oft? – versagtest
(geröllnächte lawinentage und
dergleichen ausreden) obwohl
es einzig ihr bestimmt ist
echo: „dir fliegt mein herz
wie ein törichter vogel zu“ und:
„in die sterne baun wir unser nest.“

mehr glück als verstand
im reißenden flug der jahre
ein wenig halt zu finden
„und jemands stunde ist schon nah“
bitt ich nun – dem fliehen
des tages ausgesetzt wie du
meine schwarze zikade –
um die gunst des augenblicks…

daß ich es nicht schuldig bleib´
jenes lächeln – nachts beschworen
tags verraten? – ohne das mein wort
nur ein mundvoll leere ist
ölig wie ein tischgebet
bis ins requiem der mörder
die nicht leben und
nicht sterben können…

ein tag ohne lächeln – schwärzer
als eine nacht ohne stern

Uwe Dick

Keine Zeit?

Urlaub.
Endlich Zeit zum Lesen!
Ein Buch über die Zeit: Marc Wittmann, „Gefühlte Zeit – Kleine Psychologie des Zeitempfindens.“
Er zitiert Martin Heidegger:
„Das keine Zeit haben, das so aussieht wie der strengste Ernst, ist vielleicht die größte Verlorenheit an die Banalitäten des Daseins.“
Wenn der Mensch keine Zeit hat, hat er sich selbst verloren.
Ohne Zeit kein Ich.
Auf der anderen Seite: Wenn ich (zu viel) Zeit habe, werde ich nervös: „Will keiner was von mir? Bin ich abgehängt, nicht wichtig?“
Wir spüren die Zeit in der Bewegung und in der Ruhe – in der Arbeit und der Meditation. Auf die Balance kommt es an.
Balancieren.
Ich sehe den Jungen auf der Slackline. Es wirkt so spielerisch – und braucht so viel Übung. Er fällt immer wieder runter. Aber was soll´s? Er hat ja Zeit…

Keine Zeit?

 

Urlaub.

Endlich Zeit zum Lesen – ein Buch über die Zeit:

Marc Wittmann, Gefühlte Zeit – Kleine Psychologie des Zeitempfindens.

Er zitiert Martin Heidegger:

„Das keine Zeit haben, das so aussieht wie der strengste Ernst,
ist vielleicht die größte Verlorenheit an die Banalitäten des Daseins.“

Wenn der Mensch keine Zeit hat, hat er sich selbst verloren.

Ohne Zeit kein Ich.

Auf der anderen Seite: Wenn ich (zu viel) Zeit habe, werde ich nervös: „Will keiner was von mir? Bin ich abgehängt, nicht wichtig?“

Wir spüren die Zeit in der Bewegung und in der Ruhe – in der Arbeit und der Meditation. Auf die Balance kommt es an.

Balancieren.

Ich sehe den Jungen auf der Slackline.
Es wirkt so spielerisch – und braucht so viel Übung. Er  fällt immer wieder runter.
Aber was soll´s? Er hat  ja Zeit…

 

Die Predigt zu Himmelfahrt

Gestern die Hummel an der Scheibe – heute die ganze Predigt.
Was sagt man an Himmelfahrt?
Frohe Himmelfahrt ja eher nicht…
Also: Euch und Ihnen einen schönen Tag!

Ich komme in die Küche und schaue zum Fenster.
Eine Hummel kracht verzweifelt gegen die Scheibe. Das Leben ist dahinter; der blaue Himmel, die Blumen, das saftige grün. Sie kann es sehen, doch sie kommt nicht hin.
Das Fenster ist einen Spalt breit offen. Aber sie kann den Spalt nicht finden. Weil sie Leben mit Panik verwechselt. Weil ihr Leben nur noch Panik ist.
Du siehst das Leben, dein Leben. Aber du kommst nicht hin. Rast an der Scheibe lang. Hoch und runter. Hoch und runter. Hörst das Leben nicht mal mehr. Bist gefangen in den Geräuschen deiner Angst. Und wenn dich jemand in die richtige Richtung stupsen willst, dann wehrst du dich. Weißt ja genau, wo es langgeht. Rauf und runter. Rauf und runter.
Irgendwann bist du am Ende.
Sitzt resigniert auf der Fensterbank.
Wartest auf den Tod.
Ich stülpe ein Glas über die Hummel. Bringe sie nach draußen. Sie sitzt auf dem Rand. Zögert einen Moment, als ob sie es noch gar nicht fassen könnte und dann fliegt sie davon. Ihre ganz persönliche Himmelfahrt.
„Du kannst fliegen!“ denke ich.
*
Himmelfahrt.
Die Sehnsucht nach Freiheit. Endlich fliegen können. Abheben. Alles hinter sich lassen. All den Kram, den Alltag – alles, was mich beschwert, am Boden hält, niederdrückt.
Manchmal habe ich das ja auch.
„An Tagen wie diesen.“
„Über den Wolken.“
„Und alles, was uns groß und wichtig erscheint – ist plötzlich nichtig und klein.“
Ich brauche diese Momente.
Poesie.
Verliebt sein ins Leben.
Warum kann das nicht immer so sein?
Warum kann ich dieses Gefühl, diese Lebenshaltung nicht festhalten?
Glaube ich nicht genug?
*
Die kleine Hummel düst los.
Versonnen schaue ich ihr nach.
Sie zieht ihre Kreise.
Genießt ihre Freiheit.
„Hallo! Ihr Männer aus Galliläa!
Was glotzt ihr in den Himmel? Da werdet ihr ihn nicht finden!“
Was wird die kleine Hummel tun?
Dasselbe wie immer.
Nektar sammeln, zum Nest fliegen, Nektar sammeln.
Alles wie immer.
Und ich?
Für mich wird es auch Zeit. Der Abwasch wartet. Dafür bin ich ja schließlich in die Küche gekommen.
Der Glaube entscheidet sich im Alltag. In den kleinen Dingen des Lebens.
*
Jesus fastet vierzig Tage und Nächte in der Wüste und ist Gott besonders nahe.
Er steigt mit seinen Jüngern auf einen hohen Berg und sie werden verklärt. Sie treffen Mose und Elia.
Christi Himmelfahrt.
Immer wieder werden uns solche besonderen spirituellen Erlebnisse geschildert.
Und immer wieder werden wir auch davor gewarnt.
Nach vierzig Tagen und Nächten Fasten in der Wüste ist Jesus Gott sehr Nahe – aber auch dem Teufel. Er ist versucht, seine neue Kraft nur für sich allein zu nutzen.
Die Jünger wollen auf dem Berg der Verklärung bleiben. Sie wollen Hütten bauen. Aber das geht nicht. Sie müssen wieder runter, in den Alltag.
Und nun die Himmelfahrt.
Die Jünger schauen versonnen hinterher. Sie würden so gerne mit. In den Himmel. Wie die Hummel hinter der Scheibe.
Aber das geht nicht. Die Männer in Weiß schicken sie zurück in ihren Alltag.
„Hey! Ihr habt eine Aufgabe! Nehmt euer Leben gefälligst ernst!“
An Tagen wie diesen, in solchen besonderen, heiligen Momenten bekommt ihr neue Kraft. Aber sie ist kein Selbstzweck! Nutzt sie für die Welt, für die Menschen, die Gott euch anvertraut!
Ihr seid gerade Gott begegnet, sicher.
Aber in eurem Alltag tut ihr das auch.“
Wir werden in der Bibel immer wieder davor gewarnt, solche spirituellen Erlebnisse über zu bewerten, sie mit dem Leben zu verwechseln.
Warum?
*
Ich arbeite im Braunschweiger Hospiz mit.
Da herrscht eine ganz besondere Atmosphäre. Die Gäste fühlen sich aufgehoben, zu Hause.
„Fühlen Sie sich wohl hier?“ habe ich einen Gast gefragt. Er hat gelächelt: „Sich wohl fühlen drückt das gar nicht aus. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie gut es mir hier geht.“
So ähnlich höre ich das ganz oft.
Woran liegt das?
Der ehemalige Leiter, Michael Knobel, hat das auf den Punkt gebracht.
Er hat immer gesagt:
„Wir sind hier nicht heilig. Wir machen einfach unseren Job.“
Und genau so ist es.
Die Schwestern und Krankenpfleger und auch die ganzen Ehrenamtlichen sind Menschen wie du und ich. Sie machen ihren Job. Und sie machen ihn richtig gut. Sie sind für die Menschen da, die ihnen anvertraut sind. Sie tun alles, damit sie sich wohl fühlen. Und sie gehen abends nach Hause, manchmal kaputt wie ein Bauarbeiter nach acht Stunden Steine schleppen.
Aber: Sie sind nicht heilig. Sie tun nicht so, als ob das Hospiz ein ganz besonderer Ort wäre, mit einer ganz besonderen Atmosphäre – obwohl das so ist. Hier leben ganz normale Menschen – liebenswürdig und mackig, bescheiden und mit ganz verrückten Wünschen. Ein Gast wollte zum Beispiel die Glocken von St. Martini noch mal hören. Kein Problem: Volles Geläut an einem ganz normalen Mittwoch um 17 Uhr. Wir haben ihm eine Freude gemacht. Nicht mehr und nicht weniger.
Nein, sie sind nicht heilig. Ich bin immer wieder erstaunt, wie normal es im Hospiz zugeht. Wie normal, aber auch wie freundlich und zugewandt.
„Wir sind hier nicht heilig.“
Was ist damit gemeint?
Wer heilig ist, sondert sich ab, will etwas besonderes sein.
Das sind die Mitarbeiter im Hospiz nicht, das wollen sie auch nicht sein. Und gerade das macht sie besonders.
*
Starrt nicht in den Himmel. Seid gewiss, dass ihr gerade da, wo ihr jetzt seid, genau richtig seid. Träumt nicht von einem anderen, einem heiligen Leben.
Tut das, was gerade jetzt dran ist.
*
Und was ist mit den ganz besonderen spirituellen Erfahrungen, wie bei den Jüngern an Himmelfahrt?
Sie sind schön. Sie schenken uns Kraft.
Aber sie sind auch gefährlich. Weil wir uns ganz schnell einbilden, wir wären heilig, etwas Besonderes. Und weil wir denken, das müsste jetzt immer so sein.
Es ist ein bisschen so wie verliebt sein:
ein tolles Gefühl. Manchmal vergeht es. Und manchmal wird Liebe draus. Aber wenn ein Paar nach zwanzig Jahren immer noch so tut, als ob sie sich gerade kennengelernt hätten – dann ist das merkwürdig, oder?
Gott ist uns in den Mühen des Alltags genau so nahe wie in den besonderen Momenten.
Leben wir beides.
Der Himmel ist nicht hinter der Scheibe.
Er ist mitten unter uns.
Amen.

Himmelfahrt?

Die Hummel kracht verzweifelt gegen die Scheibe.
Das Leben ist dahinter; der blaue Himmel, die Blumen, das saftige grün. Sie kann es sehen, doch sie kommt nicht hin.
Das Fenster ist einen Spalt breit offen. Aber sie kann den Spalt nicht finden. Weil sie Leben mit Panik verwechselt. Weil ihr Leben nur noch Panik ist.
Du siehst das Leben, dein Leben. Aber du kommst nicht hin. Rast an der Scheibe lang. Hoch und runter. Hoch und runter. Hörst das Leben nicht mal mehr. Bist gefangen in den Geräuschen deiner Angst. Und wenn dich jemand in die richtige Richtung stupsen willst, dann wehrst du dich. Weißt ja genau, wo es langgeht. Rauf und runter. Rauf und runter.
Irgendwann bist du am Ende.
Sitzt resigniert auf der Fensterbank.
Wartest auf den Tod.
Ich stülpe ein Glas über die Hummel. Bringe sie nach draußen. Sie sitzt auf dem Rand. Zögert einen Moment, als ob sie es noch gar nicht fassen könnte und dann fliegt sie davon. Ihre ganz persönliche Himmelfahrt.
Du wirst paar Kreise ziehen. Die Freiheit genießen. Und dann? Dasselbe wie immer. Nektar sammeln, zum Nest fliegen, Nektar sammeln.
Alles wird sein wie immer.
Oder?

Leben ohne Uhr

Andacht für den NDR

Sie arbeitet hart und viel, ist der reinste Wirbelwind.
Aber wenn es drauf ankommt, hat sie Zeit. Sie hat für jeden ein freundliches Lächeln; Zeit für einen kurzen Plausch, für ein langes Gespräch.
Irgendwann fällt mir auf: Sie trägt gar keine Uhr – und das bei ihrem Pensum.
„Nein, ich habe keine Uhr“ sagt sie und lächelt mich an. „Schon lange nicht mehr. Brauche ich nicht.“
Wie macht die das?
Sie hat Zeit – aber keine Uhr.
Ich dagegen habe eine Uhr – aber keine Zeit.
Mein Tag ist genau getaktet. Und wehe, es stört mich jemand! Dann werde ich schnell nervös, wimmle ihn ab. Muss schnell weiter. Meinen Plan einhalten. Ist noch so viel zu tun!
Und abends bin ich dann müde und ausgelaugt, frage mich: „Was hast du eigentlich den ganzen Tag gemacht?“
Woran liegt das?
In der Bibel wird folgende kleine Szene geschildert:
In Jerusalem, am Eingang zum Tempel, sitzt einer, der sich nicht mehr rühren kann. Als Petrus vorübergeht, hofft er auf ein Almosen. Doch Petrus bleibt nur ruhig vor ihm stehen, schaut ihm in die Augen und sagt: „Geld habe ich keins. Doch im Namen von Jesus aus Nazareth sage ich dir: Steh auf und geh umher.“
Steh auf und geh umher.
Nichts weiter.
Wenn ich mich gelähmt fühle, mich nicht mehr rühren kann, dann neige ich dazu, so eine Art Masterplan aufzustellen.
Ich sage mir dann: „Reiß dich zusammen! Überleg dir genau, was heute dran ist und was du heute Abend geschafft haben willst – und dann geh los!“
Petrus macht keine Pläne. Er gibt auch keinen Ratschlag.
Er sagt nur: „Geh umher. Suche nicht. Lass dich finden.
Lebe dein Leben. Bleib bei dem stehen, der dich gerade braucht. Lache mit ihm – oder weine mit ihm.
So wie diese Frau: Sie hat so viel zu tun. Aber sie braucht keine Uhr. Ich will das in Zukunft auch versuchen, wenigstens ab und zu: aufs Herz hören und nicht aufs Ziffernblatt starren.

Knopf im Ohr

Morgenandacht für den NDR

Knopf im Ohr
„Wie bitte?“
Sie steht mir gegenüber, strahlt mich an und nimmt den Knopf aus dem Ohr. Sie hat meine Frage gar nicht gehört, die Musik in ihrem Ohr war lauter.
„Du hörst viel Musik?“ frage ich.
Sie lacht: „O ja! Am liebsten hätte ich die Kopfhörer den ganzen Tag auf. Immer die richtige Musik zum richtigen Anlass.“
Wir reden einen Moment, dann drückt sie ihren Knopf wieder ins Ohr und zieht fröhlich von dannen.
Ich bin neugierig geworden.
Was sie jetzt wohl hört? Sie taucht ein in ihren ganz eigenen Klangraum.
Ich selbst könnte das ja nicht so gut haben. Immer den Knopf im Ohr: in der Straßenbahn, beim Joggen, beim Fahrrad fahren… Mir wär das auch zu gefährlich.
Aber was haben wir für Möglichkeiten!
Du kannst dir die Musik für dein Leben selbst zusammenstellen, kannst ganz eintauchen.
Was hätten wohl Paul Gerhardt oder Johann Sebastian Bach davon gehalten?
Ob sie auch mit Knopf im Ohr…?
Natürlich, die beiden hatten genug eigene Musik im Kopf.
Aber möglich wäre es, oder?
Was hätten sie wohl gehört, wenn sie fröhlich oder wenn sie traurig waren?
Was wäre das Leben ohne Musik!
Wenn ich zum Beispiel Major Tom höre, dann weiß ich wieder ganz genau wie das damals war, mit Mitte zwanzig: völlig losgelöst.
Oder mein liebstes Kirchenlied: „Geh aus mein Herz“ von Paul Gerhardt. Wie schön ist Gottes Welt! Und wie gut zu leben.
Immer den Knopf im Ohr? Ach ich weiß nicht.
Aber ab und zu im Auto ist es doch ganz schön: meine Musik.
Ganz für mich allein. Und manchmal singe ich auch mit – laut und ein bisschen schräg.
„Singen vertreibt den Teufel!“ meint Martin Luther.
Recht hat er!