Morgenandacht für den NDR
Knopf im Ohr
Wie bitte?
Sie steht mir gegenüber, strahlt mich an und nimmt den Knopf aus dem Ohr. Sie hat meine Frage gar nicht gehört, die Musik in ihrem Ohr war lauter.
Du hörst viel Musik? frage ich.
Sie lacht: O ja! Am liebsten hätte ich die Kopfhörer den ganzen Tag auf. Immer die richtige Musik zum richtigen Anlass.
Wir reden einen Moment, dann drückt sie ihren Knopf wieder ins Ohr und zieht fröhlich von dannen.
Ich bin neugierig geworden.
Was sie jetzt wohl hört? Sie taucht ein in ihren ganz eigenen Klangraum.
Ich selbst könnte das ja nicht so gut haben. Immer den Knopf im Ohr: in der Straßenbahn, beim Joggen, beim Fahrrad fahren… Mir wär das auch zu gefährlich.
Aber was haben wir für Möglichkeiten!
Du kannst dir die Musik für dein Leben selbst zusammenstellen, kannst ganz eintauchen.
Was hätten wohl Paul Gerhardt oder Johann Sebastian Bach davon gehalten?
Ob sie auch mit Knopf im Ohr…?
Natürlich, die beiden hatten genug eigene Musik im Kopf.
Aber möglich wäre es, oder?
Was hätten sie wohl gehört, wenn sie fröhlich oder wenn sie traurig waren?
Was wäre das Leben ohne Musik!
Wenn ich zum Beispiel Major Tom höre, dann weiß ich wieder ganz genau wie das damals war, mit Mitte zwanzig: völlig losgelöst.
Oder mein liebstes Kirchenlied: Geh aus mein Herz von Paul Gerhardt. Wie schön ist Gottes Welt! Und wie gut zu leben.
Immer den Knopf im Ohr? Ach ich weiß nicht.
Aber ab und zu im Auto ist es doch ganz schön: meine Musik.
Ganz für mich allein. Und manchmal singe ich auch mit laut und ein bisschen schräg.
Singen vertreibt den Teufel! meint Martin Luther.
Recht hat er!