Schlagwort: Leben

Himmelfahrt oder Leben kann man nicht alleine

Andacht für die Braunschweiger Zeitung

Leben kann man nicht alleine

Ich sitze im Garten. Schaue versonnen einer Pusteblume hinterher. Wie leicht sie in den Himmel schwebt. Schon ist sie entschwunden. Wo sie wohl landet, Wurzeln schlägt, Früchte trägt…
So mögen die Jünger Christi Himmelfahrt erlebt haben. Alles Schwere ist abgefallen. Seine Liebe wirkt; wird Wurzeln schlagen, Früchte tragen. Doch er selbst ist nicht mehr zu sehen.
Die Jünger dürfen noch einen Moment verweilen, den Himmel schauen. Doch dann stehen zwei Männer in weißen Gewändern neben ihnen: „Was schaut ihr nach oben? Geht zurück in euer Leben! Dort wird er euch begegnen und Kraft schenken.“
Ich senke meinen Blick auch wieder und lese weiter. Mein Buch ist gerade so spannend. Es trägt den Titel „Die Herrscher der Welt.“ Doch es handelt nicht von Menschen, sondern von Einzellern, Bakterien und Mikroben. Wir können sie nicht sehen, oft nicht einmal unter dem Mikroskop, doch ohne sie wäre das Leben auf dieser Erde nicht möglich. Ich lese von Ameisen, die seit Millionen Jahren Landwirtschaft betreiben. Kleine Tintenfische halten sich Bakterien wie Kühe im Stall. Die schenken ihnen keine Milch, sondern Licht für die Nacht. Am Morgen kehren sie zurück ins Meer.
Die Welt ist voller Wunder und wir können sie nicht sehen. Wir brauchen Bilder, um uns ihnen zu nähern.
Himmelfahrt ist so ein Bild für mich. In Jesus ist den Jüngern die Liebe Gottes begegnet. Sie können diese Liebe nicht festhalten. Doch sie wirkt, unsichtbar und kraftvoll.
Der Biologe Bernhard Kegel fasst seine Erkenntnisse in einem Satz zusammen:
„Leben kann man nicht alleine.“
Nicht ohne Menschen, nicht ohne Liebe. Du brauchst sie wie die Luft zum Atmen.
Die Jünger schauen einen Moment versonnen in den Himmel. Dann kehren sie froh zurück in ihren Alltag. Das will ich auch tun.
Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini

Heilig

Monolith.
Ruht in sich.
Fester Standpunkt.
Alles prallt ab.
Keiner kann ihm was.
Ein Ideal.
Ab und zu mein Ideal.
Schrecklich eigentlich:
Will Stein sein.
St. Ein.

Dich Wiedersehen.

Einige Gedanken zum Gedenkgottesdienst im Hospiz

„Siehe, ich mache alles neu.“ (Offenbarung 21)

be ich mich nach dem Frühling gesehnt! Endlich wieder Sonne! Endlich wieder Grün! Die Störche sind wieder da – und die Schwalben, meine Lieblingsvögel. Das kann alles so schön sein. Und unglaublich trostlos.
Was nutzt mir das Neue, wenn du nicht da bist? Was soll das Grün der Bäume, wenn du es nicht siehst, der Gesang der Vögel, wenn du ihn nicht hörst?
Das Neue wischt die Tränen nicht ab. Der Schmerz bleibt. Und dass das Leben einfach so weiter geht ist nicht tröstlich. Es ist brutal.
Siehe, ich mache alles neu.
Wie soll mich das trösten, wenn ich dich verliere?
Wenn der Tod noch ist und Tränen und Geschrei?
Uns wird ja ständig Neues versprochen – Ablenkung, Tröstung, aber kein Trost. Uns wird gesagt: Das Leben hat doch noch so viel zu bieten! Jetzt mal los!
Doch das ist Vertröstung, kein Trost.
All das Neue wird helfen, dass die Wunde vernarbt. Doch sie wird bleiben. Und tief in mir wird der Schmerz bleiben und die Traurigkeit wird bleiben.
Nein, es wird nicht alles gut.
Und wenn alles neu wird, dann nur mit dir.
Kein Leid. Kein Geschrei. Keine Tränen.
Das kann nur sein, wenn du wieder da bist.
Das Neue ist nur gut, wenn du nicht vergessen wirst. Wenn du bleibst. Mit deinen Wunden. Aber ohne Schmerz. Wenn ich erkenne, dass dein Leben nicht umsonst war; dass du geliebt bist. Stärker, als ich dich je lieben kann.
Das Neue ist nur gut, wenn ich dich aufgehoben weiß. Und erkannt. Wie ich dich nie erkannt habe.
Du wirst nicht vergessen. Du gehst und bleibst.
Wir werden uns wiedersehen. Ohne Tränen. Ohne Leid.

Karfreitag – Der Kreuzschlepper

Der Kreuzschlepper
In Franken in der Nähe von Volkach führt mitten durch die Weinberge der sogenannte „Bildstockweg.“
Bildstöcke sind sehr alte Denkmäler aus Stein, manchmal auch aus Holz.
Mitten in der wunderschönen Landschaft mit Blick auf den Main stehen sie am Wegesrand als Orte der Meditation und des Gebetes für die Weinbauern. Sie laden ein zu einem Moment der Ruhe mitten in der harten Arbeit.
Auf all diesen Bildstöcken sind Szenen aus dem Leiden Jesu dargestellt: die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreuz, Maria mit ihrem toten Sohn im Arm.
Diese Bildstöcke erinnern an etwas, das wir allzu schnell vergessen:
Das Leiden gehört zum Leben.
Unser Glaube geht noch weiter: das Leiden gehört zur Geschichte Gottes mit uns Menschen. Es ist kein Webfehler, den wir nur endlich beseitigen müssen, damit sich unser Leben endlich richtig und glücklich anfühlt.
Es ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen, das Leiden durch Ungerechtigkeit, Lieblosigkeit, Krankheit und Krieg, zu bekämpfen, so wie Jesus das getan hat.
Aber wir müssen auch aushalten, ertragen. Wir müssen mitgehen mit denen, die zu tragen haben. Manchmal einfach nur da sein.
Die Bildstöcke in den Weinbergen erinnern daran.
Auf einem dieser Bildstöcke ist Christus unter der Last des Kreuzes gestürzt und stemmt sich gerade wieder hoch, die rechte Hand auf einen Stein gestützt.
Es ist das Lieblingsmotiv der Weinbauern. Sie nennen ihn den Kreuzschlepper. Sie sagen: „Er ist wie wir. Muss schleppen.“
Der Kreuzschlepper.
Jesus schleppt sein Kreuz nach Golgatha.
Und ich frage mich: Warum tut er das?
Warum rafft er sich wieder auf? Er weiß doch, was komm!
Sie werden ihn ans Kreuz nageln. Er wird unerträgliche Schmerzen leiden und zuletzt ersticken.
Warum schleppst du dein Kreuz weiter?
Warum bleibst du nicht einfach liegen?
Weil du musst.
Du hast keine Wahl.
Du wirst nicht gefragt.
Du musst.
Leben.
Kämpfen.
Bis zum bitteren Ende.
Wenn wir einen Menschen begleiten, ist das nicht anders.
Wir schleppen.
Schleppen seine Krankheit mit.
Schleppen, wenn das Alter zur Last wird.
Schleppen den Schmerz.
Die Last der Trauer.
Die Einsamkeit.
Jesus hatte ein reiches und erfülltes Leben, war immer für andere da.
Jetzt findet sich jemand, der ihm tragen hilft.
Ein Fremder, Simon aus Kyrene. Der will nicht, sie müssen ihn zwingen.
So geht es uns ja manchmal auch, wenn wir einen Menschen begleiten müssen. Wir haben Angst, wollen nicht.
Doch unsere Motivation ist nicht wichtig.
Wir müssen. Sind da. Schleppen mit.
Manchmal helfen wir wie Veronica. Sie wischt Jesus mit ihrem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht.
Ein kurzer Moment. Eine Geste. Und das Leiden geht weiter. Doch macht das ihr Tun sinnlos?
Der Kreuzschlepper.
Er muss.

Erfahrungen

Erfahrungen sind ein Kreuz, das wir unser Leben lang mit uns rumschleppen.
Jorge Bucay erzählt dazu folgende Geschichte:
Man hat den Elefanten im Zirkus mit einer Kette an einen lächerlichen Holzkeil gefesselt, den Keil einfach in die Erde gerammt.
Da steht er nun. Stundenlang. Den Kopf gesenkt und rührt sich nicht.
Warum?
Eine Bewegung, ein kurzer Ruck mit dem Fuß – er wäre frei!
Als er noch ganz klein war, hat man ihn mit seiner Kette an einen Betonklotz gefesselt. Tagelang hat der kleine Elefant versucht, sich zu befreien, hat an seiner Kette gerissen, bis sein Bein wund und aufgescheuert war. Vergeblich.
Er hat seine Erfahrung gemacht: Wenn sie dich anketten, hast du keine Chance. Du kommst nicht mehr los. Versuch es gar nicht erst!

Die Wanderer

Ein Wanderer traf an einer Weggabelung einen anderen, der in derselben Richtung unterwegs war. Sie gingen schweigend nebeneinander her. Nach einer Weile sagte der andere: „Ich bin müde, habe Hunger und Durst. Wie weit ist es noch bis zur nächsten Stadt?“
„Ungefähr zwanzig Kilometer“ antwortete er.
„Ich habe eine geniale Idee!“ sagte der andere: „Jeder von uns geht zehn!“

(gefunden bei Jorge Bucay, Der Innere Kompass)

So „geniale“ Menschen begegnen dir immer wieder.
Aber du weißt ja:
Niemand anderes kann deinen Weg gehen. Niemand weiß auch nur, wie weit er ist – nicht einmal du selbst.

Gute Vorsätze…

„Gute Vorsätze? Mit Tork Sanitärprodukten sind Sie bestens ausgestattet! Optimale Reinigungsergebnisse:
Damit wird Ihr 2015 sauber und rein!“ …aus einer Werbemail der Metro.

Total bekloppt – aber es viele „gute“ Vorsätze für das neue Jahr so schön auf den Punkt: alles soll sauber sein, proper und rein.
Doch nur wer nichts anfasst hat immer saubere Hände.

Ich wünsche mir fürs neue Jahr, dass ich leben lerne mit meinen Macken und denen der anderen:

„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat.“

Wir sind nicht heilig und müssen es auch nicht sein.

Frohes Neues Jahr!

Schicksal oder Blatt im Wind?

„Ich weiß nicht ob Mama Recht hatte,
oder ob Leutnant Dan Recht hatte,
ich weiß nicht…
ob jeder von uns sein Schicksal hat
oder nur zufällig dahin treibt wie ein Blatt im Wind.
Aber ich denke, es stimmt vielleicht beides.
Vielleicht passiert ja beides zur selben Zeit.
Du fehlst mir so, Jenny.“

Forrest Gump am Grab seiner Frau

Hundert Jahre?

Wort zum Sonntag für die Braunschweiger Zeitung
Hundert Jahre?

Sarah und Abraham, unsere Urgroßeltern im Glauben, sind schon sehr alt, als sie losziehen: in ein neues, unbekanntes Land. Sie lernen eine neue Sprache, leben ein neues Leben. Sie lernen ihren Glauben ganz neu.
Mein Auto ist durch. Hat über 300.000 km auf dem Buckel. Die Reparaturen werden immer teurer. „Das ist eigentlich noch keine Leistung“ sagt ein Freund. „Man könnte heute Autos bauen, die hundert Jahre halten.“
Autos werden hundert Jahre alt? Wenn das ginge… Würde ich dann jetzt das Auto meines Urgroßvaters fahren? Oder meinen ersten Käfer, Baujahr 1960? Ein schmuckes Teil, keine Frage. Aber mit Heckmotor und einem Kofferraum, der seinen Namen nicht verdiente. Ohne Sicherheitsgurte und mit einer Heizung, die nur „an“ oder „aus“ konnte. Entweder es wurde heiß und stickig im Wagen – oder ich musste frieren. Im Winter sind immer mal die Scheiben zugefroren – von innen, versteht sich.
Autos, die hundert Jahre alt werden, ohne sich zu verändern? Das ist kein Versprechen. Das ist eine Drohung.
Alt werden ist nur schön, wenn die Dinge sich verändern. Ein Auto hat immer noch vier Räder, ein Lenkrad und zwei Bremsen. Doch die Erfahrung, die Liebe und der Fleiß vieler Ingenieure sind eingeflossen. Ich bin froh, dass mein Auto eine Klimaanlage hat und ein Radio, das nicht nur die „Mittelwelle“ empfängt.
Älter werden ist schön, wenn nicht alles beim Alten bleibt. Nein, ich will nicht hundert Jahre lang derselbe bleiben.
Ich will meinen Erfahrungen trauen. Ich weiß, die Dinge sind im Fluss. Älter werden ist schön, wenn ich dem Leben traue. Wer weiß, wie mein Glaube sich verändert – in dem unbekannten Land, das auf mich wartet.
Pastor Friedhelm Meiners, St. Martini

Irgendwas mit großem L

Wort zum Sonntag für die Braunschweiger Zeitung.

Irgendwas mit großem L

„Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?“
Das fragt die 16jährige Hazel Grace ihren 18jährigen Freund Augustus in dem Roman
„Das Schicksal ist ein mieser Verräter“
Augustus ist ein kühler Kopf und er überrascht sie mit seiner Antwort: „Ja, absolut. Nicht an einen Himmel, wo wir auf Einhörnern herumreiten, Harfe spielen und in einem Schloss aus Wolken leben. Aber trotzdem: ja. Ich glaube an Irgendwas mit großem I. Habe immer daran geglaubt.“
Irgendwas mit großem I. Das klingt wie eine Stimme aus dem dem Nebel. Du kannst sie nicht fassen und doch: Sie ist da.
Einhörner, Harfen, Schlösser aus Wolken. Damit kann ich auch nichts anfangen. Aber „Irgendwas mit großem I“ reicht mir auch nicht. Ich brauche Bilder, moderne Bilder:
Hazel Grace hat nächtelang mit ihrem Liebsten telefoniert. Sie sagt: „Wir waren dann in einem geheimen überirdischen dritten Raum. Ein Ort, der weder bei ihm noch bei mir war. Ein unsichtbarer Ort.“
Diese junge Frau würde das so nie sagen, doch sie glaubt an „irgendwas mit großem L.“
Sie glaubt an die Liebe.
Die Liebe, die so weh tut, wenn ein Mensch uns für immer verlässt – die uns aber auch in Räume entführt, von denen wir vorher nicht mal ahnen, dass es sie geben könnte.
Der Himmel ist ein Sehnsuchtsort. Ein Ort der Schönheit. Mitten unter uns.
„Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?“
„Ja, absolut. Ich glaube an irgendwas mit großem L.“

Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini