Schlagwort: Leben

Alles hat seine Zeit

mein „Wort zum Sonntag“ für die Braunschweiger Zeitung:

Alles hat seine Zeit

„Alles hat seine Zeit“ heißt es in der Bibel:
„Einpflanzen hat seine Zeit – und Ausreißen hat seine Zeit.
Weinen hat seine Zeit – und Lachen hat seine Zeit.“
Du musst es nehmen, wie es kommt. Du kannst dem Fluss der Zeit nicht entrinnen.
Das klingt ja fast schon buddhistisch und widerspricht unserem Weltbild.
Wir haben Zeit – oder wir haben keine. Aber dass die Zeit uns hat, das wollen wir nicht wissen.
Älter werden hat seine Zeit.
Wer will das hören in einer ewig jungen Gesellschaft?
Krankheit hat ihre Zeit.
Wie soll das gehen?
Alles hat seine Zeit? Wir haben ein anderes Verständnis.
In der Wirtschaft heißt es:
„Wachstum hat seine Zeit – und Wachstum hat seine Zeit.“
Und wehe, wenn nicht! Dann geht die Welt unter! Dass die chinesische Wirtschaft im vergangenen Jahr „nur“ um acht Prozent gewachsen ist, ist schon ein Alarmzeichen.
Die Werbung schreit uns den ganzen Tag an:
„Lachen hat seine Zeit – und Lachen hat seine Zeit.“
Und wenn du mal nicht lachen kannst, dann machst du etwas falsch!
Im Berufsleben haben viele Menschen das Gefühl:
„Funktionieren hat seine Zeit – und Funktionieren hat seine Zeit.“
Und wenn du nicht funktionierst, dann sieh zu, dass du dich möglichst schnell reparieren lässt.
Doch wie sollen unsere Kinder Kinder sein, wenn sie nicht mehr selbstvergessen spielen dürfen? Wie sollen unsere Jugendlichen erwachsen werden, wenn wir ihnen keine Fehler und Umwege mehr zugestehen? Und wie sollen wir in Würde alt werden, wenn wir ewig jung bleiben wollen?
Alles hat seine Zeit; auch die dunklen, traurigen Seiten des Lebens.
Eine Gesellschaft, die das nicht akzeptiert, ist krank.
Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini

Heimat?

„Du bist überall Fremder“ sagt er.
„Und Heimat ist da, wo du dein erstes Glas Wasser getrunken hast.“
Heimweh ist sein steter Begleiter.

Leben mit den Toten

„Kultur entsteht, wenn sich die Lebenden ihrer Toten erinnern. Die Lebenden unterstehen der Hoheit der Toten. Sie sind die Autoren unserer Welt, die wir von ihnen erben.“

(Robert Harrison „Die Herrschaft des Todes“)

Menschliches Leben ist nur möglich mit den Toten.
Ohne sie geht gar nichts.
Was wäre ich geworden, ohne meine Mutter, die tagelang mit mir auf dem Sofa gelegen hat, als ich kleines Kind so schwer Asthma hatte? Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich weiß das nur aus Erzählungen.
Was wäre mein Glaube ohne Paulus?
Was wäre ich ohne den Erbauer meines Hauses, der schon so lange nicht mehr auf der Erde ist?
Es sind ja viel mehr als Spuren, viel mehr als Erinnerungen, die die Toten hinterlassen. Und wenn wir einzelne, große Figuren nennen, dann meinen wir immer eine ganze Generation. Die Steine an St. Martini. Niemand kennt mehr die Steinmetze, die sie behauen und eingesetzt haben. Aber ihre Steinmetz Zeichen sind noch da. Und ihre Steine sowieso. Was wäre das Stadtbild ohne die Kirchen – was wäre mein Glaube? So ist das. Auch wenn ich die Theologie der Steine manchmal verfluche, auch wenn ich unter ihr stöhne. Es nutzt ja nichts.
Menschliches Leben ist Leben mit den Toten. Mit ihrem Fluch und mit ihrem Segen. Ohne sie ist nichts. Wir begraben tatsächlich nur die äußere Hülle.

Was ist der Mensch?

Predigt am 11.11. 2012
Was ist der Mensch, von einer Frau geboren?
Sein Leben ist nur kurz, doch voller Unrast.
Wie eine Blume blüht er und verwelkt, so wie ein Schatten ist er plötzlich fort.
Und trotzdem lässt du ihn nicht aus den Augen, du ziehst ihn vor Gericht, verurteilst ihn!
Du musst doch wissen, dass er unrein ist, dass niemals etwas Reines von ihm ausgeht!
Im Voraus setzt du fest, wie alt er wird, auf Tag und Monat hast du es beschlossen. Du selbst bestimmst die Grenzen seines Lebens, er kann und darf sie niemals überschreiten. Darum blick weg von ihm, lass ihn in Ruhe und gönne ihm sein bisschen Lebensfreude!
(Hiob Kapitel 14)
Was ist der Mensch, von einer Frau geboren?
Ein nichts, einer von 7 Milliarden.
Tendenz steigend. Er ist ein verbrauchendes Verbrauchsmittel. Störend auf dem Planeten. Es treffen sich zwei Menschen, schlafen miteinander, tauschen ihre Gene – und der nächste ist da. In jeder Sekunde kommen 2,6 dazu. Das sind pro Tag 220.000. Knapp so viele wie in Braunschweig wohnen.
Was macht ihr Religiösen also für ein Gewese um den Menschen, von einer Frau geboren? Kind Gottes? Was soll das? Er ist ein Massenprodukt. Nicht mehr und nicht weniger.
Und genau so wird er dann behandelt.
Der Grieche taugt nichts. Liegt den ganzen Tag am Strand.
Der Chinese ist fleißig. Wird den Amerikaner als Weltmacht bald ablösen.
Der Russe säuft Wodka.
Der Deutsche…
„Moment mal! Einspruch! Das gilt vielleicht für viele, aber doch nicht für mich! Ich nicht! Ich bin kein Massenprodukt! Ich bin etwas ganz besonderes! Sieht man doch gleich!“
Was ist der Mensch, von einer Frau geboren?
Sein Leben ist nur kurz, doch voller Unrast.
Ich habe keine Zeit! Ich muss noch so viel schaffen!
Ziele formulieren – Ziele erreichen. Springen, rennen, immer unterwegs.
Wo sind die Jahre geblieben?
Was habe ich geschafft, was nicht?
Kann ich zufrieden sein mit dem, was ich erreicht habe?
Sei ja nicht zufrieden! Niemals! Oder nur für einen kurzen Moment, an deinem fünfzigsten Geburtstag, vielleicht.
Dann aber hopp, hopp! Weiter! Du musst neue Ziele formulieren! Dich wieder auf den Weg machen! Wer rastet, der rostet!
Das Leben ist viel zu kurz!
Und voller Unrast.
Mach was draus!
Wie eine Blume blüht er und verwelkt, wie ein Schatten ist er plötzlich fort.
Und trotzdem lässt du ihn nicht aus den Augen, du ziehst ihn vor Gericht, verurteilst ihn!
Gut, ich bin eine von vielen Blumen auf der bunten Wiese der Menschheit. Ganz schön anzuschauen, wenn mal einer genauer hinschaut. Aber nicht lange. Verwelkt schon vor dem ersten Frost. Schaue lieber nicht in den Spiegel. Du meine Güte…
Du lässt mich nicht aus den Augen…
Du?
Wer ist du?
Gott?
Ach, du bist kein religiöser Mensch?
Na und? Brauchst du auch nicht.
Es lässt dich trotzdem nicht in Ruhe.
Dein Richter ist klein.
Sitzt im Gehirn. Beäugt dich kritisch. Jede Minute deines Lebens.
„Was machst du da gerade?“
„Wolltest du nicht aufhören zu rauchen?“
„Geht das nicht noch ein bisschen besser?“
„Hattest du dir nicht vorgenommen…?“
Dein Richter ist groß.
Springt dich an, wenn du dich auf den Markt des Lebens begibst.
„Das können wir doch besser, oder?“
„Haben Sie Ihren Auftrag erledigt? Den Termin eingehalten? Prima! Dann auf zum nächsten!“
Dein Richter ist groß. Steht dir gegenüber.
„Wie sieht die denn aus? So kriegt die doch nie einen Kerl!“
Du ziehst dich vor Gericht.
Erbarmungslos.
Du?
Oder sind es doch die anderen?
Keine Ahnung, ist ja kaum zu unterscheiden.
Darum blick weg von ihm, lass ihn in Ruhe und gönne ihm ein bisschen Lebensfreude.
Wo kommt die Ruhe her? Die Lebensfreude?
Will ich das überhaupt?
Kann ich das überhaupt wollen?
Oder gehört dieser Richter zu meiner Natur? Ist er meine Natur?
Das Movens meines Lebens.
Kenne ich Menschen, die er, die es in Ruhe lässt? Oder Momente, in denen ich das spüre?
„Man müsste noch mal zwanzig sein und so verliebt wie damals!“
Das Lied ging Thomas am Tag nach seinem fünfzigsten Geburtstag gar nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatten es beim Einzug der Überraschungsgäste gespielt. Seine Frau Sabine hatte sie heimlich eingeladen: alte Freunde aus der Schulzeit und dem Studium. Und er hatte sich unglaublich gefreut. Ein paar von ihnen hatte er seit Jahren nicht gesehen. Und dazu eben dieses Lied: „Man müsste noch mal zwanzig sein.“
Am Morgen nach der großen Feier war Thomas auch irgendwie froh, dass er es geschafft hatte. Nein, nicht die fünfzig Jahre, die Feier mit allem drum und dran! Ja klar, es war schön gewesen, aber vorher hatte er doch so gemischte Gefühle gehabt. Aber das zählte jetzt nicht mehr. Er war nicht nur erleichtert, er schwebte auf Wolke sieben.
Thomas hatte das Gefühl: „Du wirst mit jeder Menge Proviant in die zweite Halbzeit geschickt. Es waren so viele liebe Menschen da und die haben sich so viel Mühe gegeben.“
Seine Geschwister hatten eine Diashow mit Bildern aus der Kindheit vorbereitet, die Arbeitskollegen ein Lied geschrieben. Und er hatte viele tolle Geschenke bekommen. Es waren auch ein paar interessante Bücher dabei. „In der Mitte des Lebens“ von Margot Käsmann, zum Beispiel. Er blätterte es ein bisschen skeptisch durch. Aber er würde es lesen.
Er hatte sich auch Geld gewünscht für seine Wanderausrüstung. Und Klaus, ein Freund aus der Jugendgruppe, hatte einen Klingelbeutel aus Holz und Stoff gebastelt. Das war richtig nett.
Die letzten Gäste waren am frühen Morgen gegangen.
Und über allem schwebte immer noch dieser uralte Schlager: „Man müsste noch mal zwanzig sein.“
Müsste man? Thomas fand das gar nicht. Sicher, die alten Freunde hatten ihn auch an seine alten Träume erinnert. Die meisten waren ziemlich hochtrabend gewesen, so wie es sich für junge Leute gehört. Aber wenn er es sich recht überlegte: Die wichtigsten waren in Erfüllung gegangen. Er wollte unbedingt Ingenieur werden, Autos bauen. Das hatte er geschafft. Und Thomas liebte seinen Beruf immer noch. Und auch wenn er das als zwanzigjähriger nie zugegeben hätte: Er wollte schon damals eine Familie, Frau und Kinder. Und dass ihre Ehe gehalten hatte, dafür war er zutiefst dankbar. Ja, auch daran hatten die alten Freunde ihn erinnert.
Sicher, es gab auch Träume, die er sich noch nicht erfüllt hatte: eine Alpenüberquerung, zum Beispiel. Und er wollte unbedingt noch mal ehrenamtlich was für Menschen tun; in der Bahnhofsmission vielleicht oder in einem Treff für Obdachlose. Aber mit fünfzig war ja noch nicht aller Tage Abend, oder? Und er hatte immer noch Träume. Sie waren nur realistischer als mit zwanzig. „Man müsste noch mal zwanzig sein.“ Das Lied war ein netter Gag gewesen. Aber für Thomas passte heute ein Satz aus der Bibel viel besser:
„Siehe, ich will euch tragen bis ins Alter.“

Was muss ich tun?

Andacht beim Abschiedsgottesdienst im Hospiz.

Samstag, 20. Oktober
Ein Mann, der seine Frau verloren hat, kommt auf Jesus zu:
„Guter Mann! Was muss ich tun, um wieder glücklich zu werden?
Ich will endlich wieder ein normales Leben führen!“
Jesus reagiert genervt:
„Was nennst du mich gut?“
„Und warum fragst du mich? Du brauchst keinen anderen! Du weißt es doch selbst! Was musst du machen, um aus deinem Tief zu kommen, um ins Leben zurück zu finden? Sag´s selbst!“
Er stellt den Mann auf eine Probe: Was bist du für einer? Einer von den vielen, die ihr Leben aus der Hand geben, die von irgend einem Guru das Rezept für ein gelungenes Leben haben wollen?
Du bist mein ein Star, hol mich hier raus?
Ist er nicht.
Der Mann gibt eine vernünftige, durchdachte Antwort. Er ist einer von denen, die sich wirklich Gedanken machen.
Was muss ich tun, um mit meiner Trauer zu leben, sie zu überwinden?
Er sagt: „Ich versuche ja zu akzeptieren, dass ich traurig bin.
Ich will mich drauf einlassen.
Ja, ich weiß auch um die Gefahr:
Zu den wenigen Dingen, die einen Menschen auf Dauer unglücklich und krank machen gehört die Depression, die tiefste Form der Traurigkeit. Und sie droht, wenn ich meiner Trauer freien Lauf lasse. Sie droht aber auch, wenn ich meine Trauer verdränge, nichts von ihr wissen will.
Was muss ich also tun, um damit fertig zu werden, um mich nicht von der Trauer überwältigen zu lassen?
Ich rede mit anderen – mit Menschen, die meine Gefühle auch kennen, die dasselbe durchmachen wie ich.
Ich weiß, wie wichtig Bewegung ist und frische Luft!
In der Natur spüre ich das:
Das Leben ist stärker, das Licht ist stärker als deine Trauer, als der Tod.
Ich versuche auch, mich trösten zu lassen. Und meine Kinder sind so nett zu mir. Sie sagen immer: „Papa wir brauchen dich! Komm uns doch mal besuchen!“
„Das habe ich alles schon versucht“ sagt der Mann mit trauriger, resignierender Stimme.
„Aber es hilft alles nichts. Ich komme da nicht raus.“
In diesem Moment schaut Jesus ihn das erste Mal wirklich ins Gesicht.
Und er spürt: Dieser Mann fragt wirklich. Aus der Tief seiner Seele. Er tut ihm leid. Und er gewinnt ihn lieb.
Jesus zögert einen Moment.
Dann sagt er: „Eine Sache fehlt dir noch.“
„Lass los. Lass alles hinter dir. Fang ein neues Leben an.“
Da wird der Mann noch trauriger.
Er schüttelt den Kopf.
„Das kann ich nicht.“
Er ist so reich an Erinnerungen:
Die wunderschönen Urlaube. Die ganzen schönen Orte, an denen sie zusammen waren. Er will da wieder hin.
Das Haus, das sie ganz allein eingerichtet hatte.
Die Musik, ihre Musik. Er muss nur eintauchen, dann ist sie wieder da: ihre Stimme, ihre Aura.
Alles eben.
Das will er nicht verlieren. Auf keinen Fall.
*
Seinen Reichtum loslassen, die Erinnerungen als das akzeptieren, was sie sind.
Erinnerungen eben.
Sich wieder trauen zu träumen, zu leben.
Den Blick frei bekommen für das Leben.
Darf ich das?
Das ist doch Verrat an unserer Liebe!
Ich muss diese Liebe doch festhalten so lange es geht!
Nein. Musst du nicht.
Sie geht ohnehin, wenn es an der Zeit ist.
Aber wir haben uns doch ewige Liebe geschworen!
Nein. Das habt ihr nicht. Nur bis der Tod euch scheidet.
Lass los.
Und die Liebe wird sich verwandeln.
Und sie wird zu dir zurückkehren.
Als Dankbarkeit für alles, was euch verbunden hat.
Du wirst lächeln, wenn du dich erinnerst.
Du wirst Kraft spüren, die Werte zu leben, die euch beide wichtig waren –
so wie vorher und doch ganz anders.
Las einfach los.

Gelingendes Leben

Ich stelle mir Jesus als einen zufriedenen Mann vor: einen, der in sich ruht, der weiß was er will und gerade darum für andere da sein kann.
Der Sohn des Zimmermanns aus Nazareth.
Er wird Prophet, Wanderprediger und Heiler.
Wie schafft er das?
Woher kommt seine Gewissheit?
Eine Spur finde ich in seiner frühen Jugend.
Als er zwölf Jahre alt ist, zieht er mit seinen Eltern von Nazareth nach Jerusalem zum Passafest. Das war damals eine Reise von einem Tag, man ging zu Fuß. Und Jerusalem war voller Menschen, religiöse Touristen aus aller Herren Länder. Ein großes Erlebnis für einen zwölfjährigen.
Auf dem Rückweg ist Jesus nicht bei seinen Eltern. Aber sie sich noch keine Sorgen. Vermutlich ist er bei den Verwandten, die sind schon ein Stück voran gegangen. Doch als sie die bei der nächsten Pause einholen ist das Erschrecken groß.
Der Junge ist nicht da!
Die Eltern eilen panisch zurück, suchen das Kind in der ganzen Stadt.
Schließlich finden sie ihn. Er sitzt im Tempel und diskutiert in aller Ruhe mit den Priestern Schriftgelehrten.
Er stellt schon jetzt die Fragen, die ihn sein ganzes Leben beschäftigen werden.
Jesus hat seine Passion gefunden.
Seine Eltern sind verunsichert.
Was soll das werden?
Doch sie lassen ihn, zerstören seine Wünsche und Träume nicht.
*
Und wir?
Wie gehen wir mit den Wünschen und Träumen unserer Kinder und Enkelkinder um?
Kennen wir sie?
Wir wissen inzwischen:
Wer als Erwachsener so lebt, wie er es sich als Jugendlicher erträumt hat, wird glücklich und ein Segen für seine Mitmenschen.
Manchmal erzählen sie uns von ihren Wünschen und Träumen, manchmal ahnen wir, was in ihnen steckt.
Dann sollten wir vorsichtig sein mit dem, was wir sagen, mit diesem:
„Davon kannst du doch nicht leben! Schlag dir das aus dem Kopf! Mach erst mal eine vernünftige Ausbildung!“
Die Eltern Jesu können warten.
Bis aus dem kleinen Samen eines Traumes eine große Kraft wird.
Lasst uns achtsam sein mit den Träumen unserer Kinder und Enkelkinder.
Sie werden darüber entscheiden, wie glücklich oder unglücklich sie werden.

Reichtum

Bittere Armut macht unglücklich. Das weiß man.
Aber man hat inzwischen auch festgestellt: Reichtum macht nicht glücklich. Ab einer bestimmten Summe Geldes – ungefähr 3500 € Monatseinkommen – steigt die Zufriedenheit der Menschen nicht mehr an. Mehr Geld hat keinen Einfluss mehr auf ihr Glück.
Woran mag das liegen?
Ein Professor hat folgendes Experiment gemacht. Er hat seine Studenten in zwei Gruppen eingeteilt. Die einen bekamen folgenden Traum erzählt:
„Stellen Sie sich vor, Sie haben im Lotto gewonnen. Die zwölf Millionen Euro aus dem Lotto Jackpot am Mittwoch. Das Geld ist ihrs! Sie können damit machen was Sie wollen!
Was würden Sie sich als erstes kaufen?
Ein neues Auto vielleicht?
Oder ein großes Haus mit Pool und riesigem Park?
Würden Sie eine Reise unternehmen?
Wo würde sie hingehen?
In die Karibik vielleicht? Oder doch eher zum Tauchen ans Barrier Reef ?
Träumen Sie noch ein wenig! Was könnten Sie sich ein schönes Leben machen!“
*
Dann bekam jeder Student eine Tafel Schokolade und durfte sie sofort essen.
Der Professor machte dabei folgende Beobachtung:
Die Studenten, die gerade vom großen Reichtum geträumt hatten, stopften die Schokolade gedankenlos in sich rein. Die anderen aßen mit Begeisterung und großem Appetit.
Er zog aus seinem Versuch folgende Schlussfolgerung:
Wer reich ist, ist nicht mehr empfänglich für die kleinen Freuden des Lebens. Er nimmt sie einfach so hin. Knabbert sie weg wie eine Tafel Schokolade. Alles wird selbstverständlich – es „steht mir zu.“
Mir fallen gleich zwei Worte Jesu ein:
„Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als das ein Reicher in den Himmel kommt.“
Und:
„Seht die Lilien auf dem Felde: Sie arbeiten nicht und sie spinnen nicht – und ich sage euch: Salomon in all seiner Herrlichkeit war nicht so gekleidet wie eine von ihnen.“

Knopf im Ohr

Sie steht mir gegenüber, strahlt mich an und nimmt den Knopf aus dem Ohr.
„Du hörst viel Musik?“ frage ich.
Sie lacht: „O ja! Am liebsten hätte ich die Dinger den ganzen Tag auf. Immer die richtige Musik zum richtigen Anlass.“

Was haben wir doch für Möglichkeiten!
Du kannst jederzeit und überall die Musik hören, die dir gefällt.
Der Soundtrack für dein Leben.

Was hätten wohl Paul Gerhardt oder Johann Sebastian Bach davon gehalten?
Ob sie auch mit dem Knopf im Ohr…?
Möglich wäre es, oder?
Na gut, die beiden hätten das nicht gebraucht. Sie hatten genug Musik im Kopf.
Aber trotzdem:
Was hätten sie gehört, wenn sie fröhlich oder wenn sie traurig waren?
Das Schöne ist ja: Man muss es nicht einmal verraten. Hört ja keiner.

Bis jetzt war ich skeptisch bei den Menschen, die immer den Knopf im Ohr haben: in der Straßenbahn, beim Joggen, beim Fahrrad fahren… Ich habe auch gern mal vom Gehirnschrittmacher geredet. Und ich selbst kann das gar nicht gut haben, die Musik im Ohr. Habe Angst, dass ich dann nichts mehr mitkriege, „Angst vor Kontrollverlust,“ würden die Psychologen sagen.

Immer den Knopf im Ohr? Ach ich weiß nicht.
Aber ab und zu ist es doch ganz schön: meine Musik.
Ganz für mich allein.
Was würde ich heute morgen hören?
Das verrate ich nicht.
Nur so viel: Sicher etwas fröhliches.

Leben.

„Ich habe keine Uhr“ sagt sie.
„Brauch ich nicht.“
Sie ist den ganzen Tag für andere da.
Hat Zeit. Aber keine Uhr.

Petrus sagt zu einem, der sich nicht mehr rühren kann:
„Im Namen von Jesus aus Nazareth, steh auf und geh umher.“

Umhergehen.
Einfach so.
Kein Ziel vor Augen.
Kein Masterplan.
Bei dem stehen bleiben, der dich gerade braucht. Mit ihm lachen und weinen. Die Zeit vergessen. Im Namen von Jesus Christus aus Nazareth.

Abraham oder die Versuchung des Alters

„Abraham aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.“
Ein alter Mann, fürwahr! Was hat den eigentlich getrieben?
In der Bibel heißt es ganz schlicht: „Und der Herr sprach zu ihm.“
Den Herrn kannst du durch „das Leben“ ersetzen, oder „die Sehnsucht“ oder auch die drohende Langeweile. Jedenfalls verfolgt er ein ganz anderes Lebensmodell als wir: Mit 75 will doch nun wirklich keiner mehr arbeiten. Und schon gar nicht die Stadt verlassen und als Nomade durch die Gegend ziehen. Rechtlos und nur mit dem, was er und seine Sippe tragen kann. Altersvorsorge hat er ja betrieben, er ist ein vermögender Mann. Und wenn er schon keinen Sohn hat, so doch Lot, seinen unsteten Neffen. Den zieht er mit.
Er gibt seine Träume nicht auf; nicht den vom Sohn und auch nicht von den von einer Zukunft. Und er ist sich sicher, dass das Leben auf seiner Seite steht, immer noch. Warum eigentlich? Er ist alt. Hat es hinter sich. Nicht nur für uns, auch für seine Verwandtschaft, für „seines Vaters Haus.“ Die Erben lecken sich schon die Lippen. Wo kein Sohn ist wird verteilt.
Er hört eine Stimme.
Die sagt: „Das war es noch nicht, mein Lieber!“
Es ist so schön, sich einzurichten. Es ist so bequem zu sagen: „Das muss ich mir nicht mehr antun.“ Es ist ja vorgesorgt.
Abraham sagt das nicht.
Er widersteht der Versuchung des Alters.