Der Sohn sitzt lange am Sterbebett seiner alten, lebenssatten Mutter.
Er hat sich nie getraut, sie zu fragen, heute ist die letzte Gelegenheit.
„Glaubst du an Gott?“ fragt er sie schließlich.
Sie zögert einen Moment.
„Ich weiß nicht…“ sagt sie dann.
„Zumindest bete ich zu ihm.“
Sie weiß nicht. Aber sie betet. Sie weiß, zu wem sie sprechen kann.
Der Glaube ist manchmal nur eine vage Hoffnung.
Aber was heißt hier „nur?“
Hoffnung ist im Leben oft genug mehr, als man erwarten kann.
Der Sohn wird mutiger. Er fragt weiter:
„Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?“
„Ach nein!“ antwortet sie. „Einmal leben reicht nun wirklich hin!“
„Das meine ich nicht. Glaubst du, dass du ins Paradies kommst?“
Die alte Frau lächelt, schüttelt den Kopf: „Dazu fehlt mir die Phantasie.“
Sie braucht nicht viel, kein Konzept, keine großen Bilder.
So ist es oft mit dem Glauben.
Manchmal ist da nur ein Hauch, eine Ahnung, ein Suchen. Man kann es kaum in Worte fassen.
„Zumindest bete ich zu ihm“ sagt sie.
Sie betet zu einer großen Kraft, die sie nicht kennt, von der sie wenig weiß.
Es ist wie mit allem Großen im Leben – auch mit den Menschen, die ich liebe.
Ich kenne sie nicht wirklich. Oft genug habe ich nur eine vage Ahnung von dem, was sie gerade bewegt.
Jeder Mensch hat ein Geheimnis. Jeder Mensch ist ein Geheimnis.
Lieben ist immer auch glauben: vertrauen, ohne zu wissen.
Glaubst du an Gott?
Ja. Auch wenn ich dir nicht genau sagen kann was und warum.
Aber ist das so wichtig?
Schlagwort: Tod
Abschied nehmen?
Wir haben ich einen alten Pastor beerdigt. Er hatte ein gesegnetes Leben.
Auf dem Rückweg vom Grab spricht mich ein alter Kollege an:
„Sie haben zweimal gesagt „Wir nehmen Abschied.“
Ich nicke und schaue ihn fragend an.
„Aber das stimmt doch gar nicht!“ sagt er. „Wir nehmen nicht Abschied! Ich bin jetzt über achtzig Jahre alt und ich lebe mit so vielen Toten: mit meinem Bruder. Er ist im Krieg vermisst. Wir haben noch lange gehofft. Er hat mich nie wirklich verlassen. Oder meine Mutter. Sie begegnet mir heute noch in meinen Träumen. Manchmal lächelt sie freundlich. Manchmal ist sie gar nicht einverstanden.“
Wir bleiben einen Moment stehen. So habe ich das noch nie gesehen. Die Verstorbenen gehen von uns – und bleiben doch.
Mir fällt eine Szene ein:
In seinen Memoiren beschreibt der Psychoanalytiker Irving Yalom einen Alptraum: Er rast auf einen schwarzen Abgrund zu. Plötzlich sieht er im Augenwinkel seine Mutter. Er ruft ihr zu: „Hallo Mama! Bist du zufrieden mit mir?“
In diesem Moment schreckt er auf. Irving Yalom schreibt: „Ich hatte diesen Traum mit 85 Jahren! Kann es sein, dass das Urteil meiner Mutter das einzige ist, was mich mein Leben lang angetrieben hat? Lebe ich für den Applaus von genau zwei Händen – von zwei Händen, die schon lange nicht mehr applaudieren?“
Ja, mein alter Kollege hat Recht – und er hat nicht Recht. Wir nehmen Abschied und wir tun es nicht. Das macht das Ganze nicht einfacher, im Gegenteil. Du spricht mit deiner Mutter, siehst deinen Vater. Manchmal kämpfst du innerlich mit ihnen. Manchmal machen sie dir Mut.
Es ist so: Wichtige Menschen bleiben, sie verlassen uns nie.
Manchmal helfen sie. Manchmal hindern sie uns am Leben.
Ich bin getauft
Ich bin getauft
Meine Eltern haben mich taufen lassen, als ich ein Baby war. Hat das heute noch eine Bedeutung für mich?
Der Schriftsteller David Foster Wallace schildert in „Für immer ganz oben“, wie ein 13jähriger Junge das erste Mal vom 10 m Turm springt.
Er steht im Freibad in der Schlange am Sprungturm: „Von einem bestimmten Punkt an sind in der Schlange mehr Menschen hinter dir als vor dir.“
Schließlich steht er auf der Leiter: „Auf der Leiter wiegst du wirklich etwas. Die Erde will dich wieder.“
Es geht langsam nach oben. Es ist windig hier. „Wenn du erst mal auf der Leiter stehst, gibt es kein zurück mehr.“ Er steht ganz oben. Vor ihm noch eine ältere Frau, dann ist er dran. Er sieht sie abspringen. Sie verschwindet aus seinem Blickfeld.
Er horcht. Viel zu lange hört er nichts. Dann klatscht sie ins Wasser.
Ein Geräusch, ein paar Spritzer, Wellen, Luftblasen, die aufsteigen, dann ist das Wasser wieder ruhig. Als sei nichts gewesen.
„Hey! Junge! Was ist los? Ich will hier nicht ewig warten!“ Die Stimme hinter ihm. Jetzt ist er dran.
Klar, der Sprung ist schwer. Lass dich fallen. Vertrau darauf, dass die Liebe dich umfängt wie das Wasser der Taufe. Lebe. Und stirb. Lass deine Ängste sterben. Auch die vor dem großen Tod. Egal, ob sie dich schubsen oder ob du springst, es wird dich umfangen, aufnehmen. Wichtig ist nur: das Wasser, das Leben, macht dir keine Angst mehr. Im Wasser bist du fast nackt. Nichts unterscheidet dich von den anderen und doch bist du einzigartig.
Du bist getauft.
(Wort zum Sonntag für die Braunschweiger Zeitung)
Ewigkeitssonntag
Andacht für die Braunschweiger Zeitung
Ewigkeitssonntag.
An den Gräbern gedenken wir der Menschen, die uns vorangegangen sind. In unseren Kirchen beten wir für die Verstorbenen des letzten Jahres.
Gibt es ein Danach?
Wenn ja, wie wird es sein?
Er ist neun Jahre alt, als seine Großmutter ganz plötzlich stirbt. Er weint bitterlich.
Wo ist sie jetzt? fragt er seinen Vater. Sie ist im Himmel, versucht der ihn zu trösten, es geht ihr gut.
Wie kann es ihr gut gehen? schluchzt der Junge wütend, Sie muss doch sehen, wie schlecht es uns geht!
Der Vater schweigt erschrocken. Sein Sohn hat ja Recht.
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, werden uns die einfachen Antworten aus der Hand geschlagen. Alles ist wieder gut? So einfach kann es nicht sein. Dann hätte das, wofür ein Mensch gelebt und gelitten hat, keinen Sinn. Dann wäre sein Leiden, sein Leben nur eine Randnotiz auf dem Weg ins ewige Glück, alle Trauer nur ein Irrtum.
Das kann ich nicht glauben.
Mir hilft die Erzählung von der Auferstehung Jesu. Als der Auferstandene seinen Jüngern das erste Mal begegnet, zeigt er ihnen die Wundmale der Kreuzigung an den Händen und am Körper. Die Jünger erkennen Jesus an dem, was man ihm angetan hat.
Für mich ist das tröstlich: Ich bleibe mit meinen Lieben verbunden; in den schönen Erinnerungen, aber auch in der Trauer und im Leid. Es muss nicht einfach alles weg, wofür sie gelebt, worunter sie gelitten haben.
Ich selbst muss auch nicht verstecken, was mich verletzt und was mir weh tut. Meine Wunden, meine Trauer und mein Schmerz sind Teil meines Lebens. An ihnen bin ich zu erkennen.
Die Wunden werden geheilt, die Narben bleiben; doch im Lichte der Liebe Gottes werde ich sie anders sehen.
Das ist meine Hoffnung.
Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini
Dich Wiedersehen.
Einige Gedanken zum Gedenkgottesdienst im Hospiz
„Siehe, ich mache alles neu.“ (Offenbarung 21)
be ich mich nach dem Frühling gesehnt! Endlich wieder Sonne! Endlich wieder Grün! Die Störche sind wieder da und die Schwalben, meine Lieblingsvögel. Das kann alles so schön sein. Und unglaublich trostlos.
Was nutzt mir das Neue, wenn du nicht da bist? Was soll das Grün der Bäume, wenn du es nicht siehst, der Gesang der Vögel, wenn du ihn nicht hörst?
Das Neue wischt die Tränen nicht ab. Der Schmerz bleibt. Und dass das Leben einfach so weiter geht ist nicht tröstlich. Es ist brutal.
Siehe, ich mache alles neu.
Wie soll mich das trösten, wenn ich dich verliere?
Wenn der Tod noch ist und Tränen und Geschrei?
Uns wird ja ständig Neues versprochen Ablenkung, Tröstung, aber kein Trost. Uns wird gesagt: Das Leben hat doch noch so viel zu bieten! Jetzt mal los!
Doch das ist Vertröstung, kein Trost.
All das Neue wird helfen, dass die Wunde vernarbt. Doch sie wird bleiben. Und tief in mir wird der Schmerz bleiben und die Traurigkeit wird bleiben.
Nein, es wird nicht alles gut.
Und wenn alles neu wird, dann nur mit dir.
Kein Leid. Kein Geschrei. Keine Tränen.
Das kann nur sein, wenn du wieder da bist.
Das Neue ist nur gut, wenn du nicht vergessen wirst. Wenn du bleibst. Mit deinen Wunden. Aber ohne Schmerz. Wenn ich erkenne, dass dein Leben nicht umsonst war; dass du geliebt bist. Stärker, als ich dich je lieben kann.
Das Neue ist nur gut, wenn ich dich aufgehoben weiß. Und erkannt. Wie ich dich nie erkannt habe.
Du wirst nicht vergessen. Du gehst und bleibst.
Wir werden uns wiedersehen. Ohne Tränen. Ohne Leid.
Karfreitag – Der Kreuzschlepper
Der Kreuzschlepper
In Franken in der Nähe von Volkach führt mitten durch die Weinberge der sogenannte Bildstockweg.
Bildstöcke sind sehr alte Denkmäler aus Stein, manchmal auch aus Holz.
Mitten in der wunderschönen Landschaft mit Blick auf den Main stehen sie am Wegesrand als Orte der Meditation und des Gebetes für die Weinbauern. Sie laden ein zu einem Moment der Ruhe mitten in der harten Arbeit.
Auf all diesen Bildstöcken sind Szenen aus dem Leiden Jesu dargestellt: die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreuz, Maria mit ihrem toten Sohn im Arm.
Diese Bildstöcke erinnern an etwas, das wir allzu schnell vergessen:
Das Leiden gehört zum Leben.
Unser Glaube geht noch weiter: das Leiden gehört zur Geschichte Gottes mit uns Menschen. Es ist kein Webfehler, den wir nur endlich beseitigen müssen, damit sich unser Leben endlich richtig und glücklich anfühlt.
Es ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen, das Leiden durch Ungerechtigkeit, Lieblosigkeit, Krankheit und Krieg, zu bekämpfen, so wie Jesus das getan hat.
Aber wir müssen auch aushalten, ertragen. Wir müssen mitgehen mit denen, die zu tragen haben. Manchmal einfach nur da sein.
Die Bildstöcke in den Weinbergen erinnern daran.
Auf einem dieser Bildstöcke ist Christus unter der Last des Kreuzes gestürzt und stemmt sich gerade wieder hoch, die rechte Hand auf einen Stein gestützt.
Es ist das Lieblingsmotiv der Weinbauern. Sie nennen ihn den Kreuzschlepper. Sie sagen: Er ist wie wir. Muss schleppen.
Der Kreuzschlepper.
Jesus schleppt sein Kreuz nach Golgatha.
Und ich frage mich: Warum tut er das?
Warum rafft er sich wieder auf? Er weiß doch, was komm!
Sie werden ihn ans Kreuz nageln. Er wird unerträgliche Schmerzen leiden und zuletzt ersticken.
Warum schleppst du dein Kreuz weiter?
Warum bleibst du nicht einfach liegen?
Weil du musst.
Du hast keine Wahl.
Du wirst nicht gefragt.
Du musst.
Leben.
Kämpfen.
Bis zum bitteren Ende.
Wenn wir einen Menschen begleiten, ist das nicht anders.
Wir schleppen.
Schleppen seine Krankheit mit.
Schleppen, wenn das Alter zur Last wird.
Schleppen den Schmerz.
Die Last der Trauer.
Die Einsamkeit.
Jesus hatte ein reiches und erfülltes Leben, war immer für andere da.
Jetzt findet sich jemand, der ihm tragen hilft.
Ein Fremder, Simon aus Kyrene. Der will nicht, sie müssen ihn zwingen.
So geht es uns ja manchmal auch, wenn wir einen Menschen begleiten müssen. Wir haben Angst, wollen nicht.
Doch unsere Motivation ist nicht wichtig.
Wir müssen. Sind da. Schleppen mit.
Manchmal helfen wir wie Veronica. Sie wischt Jesus mit ihrem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht.
Ein kurzer Moment. Eine Geste. Und das Leiden geht weiter. Doch macht das ihr Tun sinnlos?
Der Kreuzschlepper.
Er muss.
Vom Schleppen und vom Schicksal
Predigt am Ewigkeitssonntag
In Franken in der Nähe von Volkach führt mitten durch die Weinberge der sogenannte Bildstockweg.
Bildstöcke sind sehr alte Denkmäler aus Stein, manchmal auch aus Holz.
Mitten in der wunderschönen Landschaft mit Blick auf den Main stehen sie am Wegesrand als Orte der Meditation und des Gebetes für die Weinbauern. Sie laden ein zu einem Moment der Ruhe mitten in der harten Arbeit.
Auf all diesen Bildstöcken sind Szenen aus dem Leiden Jesu dargestellt: die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreuz, Maria mit ihrem toten Sohn im Arm.
Diese Bildstöcke erinnern an etwas, das wir allzu schnell vergessen:
Das Leiden gehört zum Leben.
Unser Glaube geht noch weiter: das Leiden gehört zur Geschichte Gottes mit uns Menschen. Es ist kein Webfehler, den wir nur endlich beseitigen müssen, damit sich unser Leben endlich richtig und glücklich anfühlt.
Sicher, es ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen, das Leiden durch Ungerechtigkeit, Lieblosigkeit, Krankheit und Krieg, zu bekämpfen so wie Jesus das getan hat.
Aber wir müssen auch aushalten, ertragen. Wir müssen mitgehen mit denen, die zu tragen haben. Manchmal einfach nur da sein. So heute, am Ewigkeitssonntag, wenn vielen von uns schwer ums Herz wird.
Die Bildstöcke in den Weinbergen erinnern daran.
Auf einem dieser Bildstöcke ist zu sehen, wie Christus sein Kreuz nach Golgatha trägt. Er ist unter der Last gestürzt und stemmt sich gerade wieder hoch, die rechte Hand auf einen Stein gestützt.
Es ist das Lieblingsmotiv der Weinbauern. Sie nennen ihn den Kreuzschlepper. Sie sagen: Er ist wie wir. Muss schleppen.
Der Kreuzschlepper. Ja, er ist ein Bild für das Leben: Wie viele schleppen sich ab mit dem, was ihnen auferlegt ist.
Jesus schleppt sein Kreuz nach Golgatha.
Und ich frage mich: Warum tut er das?
Warum rafft er sich wieder auf? Er weiß doch, was komm! Nichts wird besser! Sie werden ihn ans Kreuz nageln. Er wird unerträgliche Schmerzen leiden und zuletzt ersticken. Das ist die Todesursache bei der Kreuzigung.
Warum schleppst du dein Kreuz weiter?
Warum bleibst du nicht einfach liegen?
Weil du musst.
Du hast keine Wahl.
Du wirst nicht gefragt.
Du musst.
Musst leben.
Musst kämpfen.
Bis zum bitteren Ende.
Wenn wir einen lieben Menschen verlieren, ist es ja nicht anders.
Wir schleppen. Wir schleppen seine Krankheit mit. Wir schleppen, wenn das Alter zur Last wird. Schleppen den Schmerz. Schleppen an der Last der Trauer. Schleppen die Einsamkeit.
Jesus hatte ein reiches, erfülltes, gesegnetes Leben. Er war immer für andere da, wenn er gebraucht wurde.
Und jetzt, in seiner letzten Stunde, findet sich jemand, der tragen hilft.
Ein Fremder, Simon aus Kyrene. Der will gar nicht, sie müssen ihn zwingen.
So geht es uns ja manchmal auch, wenn wir einen Menschen auf seinem letzten Weg begleiten. Wir haben Angst, wir wollen nicht.
Doch unsere Motivation ist nicht wichtig.
Wir müssen. Sind da. Schleppen mit.
Manchmal helfen wir wie Veronica. Sie wischt Jesus mit ihrem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht.
Ein kurzer Moment. Eine Geste. Und das Leiden geht weiter. Doch macht das ihr Tun sinnlos?
Der Kreuzschlepper.
Er muss.
Warum?
Was ist der Sinn des Ganzen?
*
Dieser Frage möchte ich mich mit einer Filmfigur nähern:
Forrest Gump.
Er ist der Titelheld des gleichnamigen Films mit Tom Hanks in der Hauptrolle.
Forrest Gump ist fast debil. Er hat einen Intelligenzquotienten von 75. Aber er ist extrem erfolgreich. Was er anfasst, gelingt. Am Ende des Films ist er sehr vermögend. Doch Geld spielt für ihn keine Rolle. Er mäht den Rasen in seiner Heimatgemeinde und ist glücklich und zufrieden.
Jenny, seine Ehefrau, erkrankt schwer. Forrest pflegt sie rührend.
Am Ende des Films steht Forrest an ihrem Grab
Er hat sie an ihrem Lieblingsplatz begraben: unter einer uralten Eiche mit weitem Blick in die Landschaft von Alabama.
Er erzählt von ihrem kleinen Sohn, wie gut er sich macht.
Er weint. Schließlich sagt er: Ich weiß nicht ob Mama Recht hatte, oder ob Leutnant Dan Recht hatte, ich weiß nicht… ob jeder von uns sein Schicksal hat oder nur zufällig dahin treibt wie ein Blatt im Wind. Aber ich denke, es stimmt vielleicht beides. Vielleicht passiert ja beides zur selben Zeit. Du fehlst mir so, Jenny.“
Ich sehe einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Ist es das?
Eine Welt, in der ich nicht nur zu den Verstorbenen reden kann, sondern mit ihnen? Eine Welt, in der wir wieder vereint sind?
Eine Welt, in der wir Antworten bekommen auf die Fragen, die uns umtreiben und quälen?
Auf Fragen wie diese: Wer bin ich? Zu was ist mein Leben gut, hat es einen Sinn?
Ist es Schicksal?
Oder bin ich ein Blatt im Wind?
Ein Nanoteilchen im großen Plan der Evolution? Erfülle meine Aufgabe und verschwinde wieder?
Forrest Gump hat keinen großen Verstand. Aber ein großes Herz.
Er beantwortet diese Fragen mit seinem Leben.
Er nimmt das Leben wie ein Blatt im Wind. Bei ihm ist es fast immer ein Aufwind.
Sein Freund legt Forrest Geld an. Irgendwas mit Obst sagt Forrest. Es sind Apple Aktien.
Der Freund schreibt ihm: Um Geld musst du dir nie wieder Sorgen machen.
Prima! denkt Forrest, eine Sorge weniger.
Forrest Gump macht sich scheinbar keine Gedanken.
Doch wenn er gebraucht wird, ist er da.
Er kommt nicht mal auf die Idee, die beste pflegerische Hilfe zu kaufen, die es gibt. Er sitzt selbstverständlich selbst an ihrem Bett. Er ist es auch, der seinen kleinen Sohn an seinem ersten Schultag zum Schulbus bringt.
Weil er muss. Und weil er will.
Schicksal und Blatt im Wind.
Ja, es ist wohl beides gleichzeitig. Da beginnt für mich der neue Himmel und die neue Erde: Mensch sein in guten wie in schlechten Zeiten. Miteinander lachen und weinen. Aufhören, seine Trauer und seinen Schmerz zu verstecken.
*
Jesus schleppt sein Kreuz. Er lebt. Bis zuletzt.
Michael Knobel, der frühere Leiter unseres Hospizes, hat immer gesagt:
Im Hospiz wird nicht gestorben. Sterben ist nur ein kurzer Moment. Im Hospiz wird gelebt. Bis zuletzt.
So ist es auch bei Jesus.
Er lebt. Bis zum Schluss. Er sorgt noch dafür, dass sein Lieblingsjünger in Zukunft für Maria da ist und sie für ihn.
Und er wird wiederkommen. Seine Jünger werden ihn nicht als strahlenden Helden sehen. Sie werden ihn an seinen Wunden erkennen an dem, was das Leben, was das Leiden ihm angetan hat.
Doch alles, sein ganzes Leben, ist aufgehoben in der Liebe Gottes.
Möge er unseren Glauben stärken: den Glauben, dass es die Liebe und das Licht sind, die uns erwarten. Uns und unsere Lieben.
Amen.
Schicksal oder Blatt im Wind?
Ich weiß nicht ob Mama Recht hatte,
oder ob Leutnant Dan Recht hatte,
ich weiß nicht…
ob jeder von uns sein Schicksal hat
oder nur zufällig dahin treibt wie ein Blatt im Wind.
Aber ich denke, es stimmt vielleicht beides.
Vielleicht passiert ja beides zur selben Zeit.
Du fehlst mir so, Jenny.“
Forrest Gump am Grab seiner Frau
Irgendwas mit großem L
Wort zum Sonntag für die Braunschweiger Zeitung.
Irgendwas mit großem L
Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?
Das fragt die 16jährige Hazel Grace ihren 18jährigen Freund Augustus in dem Roman
Das Schicksal ist ein mieser Verräter
Augustus ist ein kühler Kopf und er überrascht sie mit seiner Antwort: Ja, absolut. Nicht an einen Himmel, wo wir auf Einhörnern herumreiten, Harfe spielen und in einem Schloss aus Wolken leben. Aber trotzdem: ja. Ich glaube an Irgendwas mit großem I. Habe immer daran geglaubt.
Irgendwas mit großem I. Das klingt wie eine Stimme aus dem dem Nebel. Du kannst sie nicht fassen und doch: Sie ist da.
Einhörner, Harfen, Schlösser aus Wolken. Damit kann ich auch nichts anfangen. Aber Irgendwas mit großem I reicht mir auch nicht. Ich brauche Bilder, moderne Bilder:
Hazel Grace hat nächtelang mit ihrem Liebsten telefoniert. Sie sagt: Wir waren dann in einem geheimen überirdischen dritten Raum. Ein Ort, der weder bei ihm noch bei mir war. Ein unsichtbarer Ort.
Diese junge Frau würde das so nie sagen, doch sie glaubt an irgendwas mit großem L.
Sie glaubt an die Liebe.
Die Liebe, die so weh tut, wenn ein Mensch uns für immer verlässt – die uns aber auch in Räume entführt, von denen wir vorher nicht mal ahnen, dass es sie geben könnte.
Der Himmel ist ein Sehnsuchtsort. Ein Ort der Schönheit. Mitten unter uns.
Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?
Ja, absolut. Ich glaube an irgendwas mit großem L.
Friedhelm Meiners, Pastor an St. Martini
Leben nach dem Tod?
Ich lese gerade Das Schicksal ist ein mieser Verräter.
Die Liebesgeschichte zweier krebskranker Jugendlicher.
Das Mädchen, Hazel Grace, ist 16 t, Augustus, der Junge, 18 Jahre alt.
Natürlich fragt Hazel Grace ihren Freund irgendwann:
Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?
Augustus überrascht sie mit seiner Antwort:
Ja, absolut. Nicht an einen Himmel, wo wir auf Einhörnern herumreiten, Harfe spielen und in einem Schloss aus Wolken leben. Aber trotzdem: ja.
Ich glaube an Irgendwas mit großem I. Habe immer daran geglaubt.
Augustus glaubt an irgendwas. Aber natürlich nicht an das Paradies.
Ich auch nicht. Aber ich glaube auch, dass es weiter geht. Irgendwie.
Was mich stört an den gängigen Bildern vom Paradies?
Es ist dieser perfekte Stillstand: Die ewig gleichen Harfenklänge, alles freut sich, alles lacht. Der ewig gleiche, perfekte, bewegte Stillstand. Das kann es doch nicht sein, oder?