Zurück in die Gegenwart
Bei uns im Esszimmer steht eine wunderschöne alte Uhr. Sie ist ein Erbstück aus der Familie meiner Frau. Jeden Sonntagmorgen ziehe ich sie auf. Und dann ist sie nicht mehr zu halten, dann rennt sie los. Die ersten drei Tage der Woche ist sie ihrer Zeit weit voraus, mindestens zwei, drei Minuten pro Tag. Ich drehe ihren Minutenzeiger immer wieder zurück. So. Jetzt stimmt ihre Zeit wieder. Die Uhr ist genau in der Gegenwart, im Hier und Jetzt.
Ach, wenn das bei mir doch auch so einfach ginge. Es gibt Tage, da bin ich wie aufgezogen, meine Gedanken sind wie Trolle. Sie jagen mich weit in die Zukunft. Schon beim Aufwachen schreien sie mich an: „Los! Sieh zu, dass du hochkommst! Es gibt viel zu tun!“ An diesen Tagen bin ich ein Getriebener, denke nur darüber nach, was ich noch alles zu tun habe und wie ich das bloß schaffen soll. Ich bin dann nie ganz bei der Sache, nie ganz bei dem, was ich gerade tue.
Dabei sind genau das die schönsten Momente in meinem Leben: Wenn jemand den Zeiger zurückdreht, mich in die Gegenwart holt, wenn ich die Zeit vergesse.
Ich sehe mit meiner Enkeltochter zu, wie sie mit ihrem neuen Bauernhof spielt. Sie ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Ich genieße die Sonne bei einem langen Spaziergang mit meiner Frau. Ich vergesse die Zeit beim Gespräch mit einem Freund. Nie spüre ich das Leben so intensiv wie in diesen Momenten.
Ich drehe den Zeiger an unserer alten Uhr zurück, hole tief Luft und denke: „So. Jetzt sind wir beide genau da, wo wir hingehören: in der Gegenwart, in diesem Moment.“
Gott, Geheimnis des Lebens, ich glaube, dass die Gegenwart, dass genau dieser Moment ein Geschenk ist.
Ich glaube, hilf meinem Unglauben…