Karfreitag

Karfreitag.
Du denkst nach über das Leid des Einen.
Den Gekreuzigten.
Er steht dir vor Augen.
Auch wenn du es nicht wahrhaben willst: unter dem Kreuz stehst du im Zentrum des Glaubens. Im Zentrum des Lebens.
Dieser grausige Tod vor fast 2000 Jahren.
Geht dich das überhaupt noch was an?

Soweit ich sehen kann, steht in keiner anderen Religion der Tod des Religionsstifters im Zentrum – egal, ob du in ihm Gottes Sohn siehst oder nicht.
Das Kreuz im Zentrum.
Ob du es willst oder nicht – es hat Auswirkungen auf deinen Glauben.
Auf dein Leben.
Das Leiden des Einen.
Das Leiden der Vielen.
Dein Leiden.
Es gehört nicht nur dazu. Es ist nicht nur ein Makel. Es ist dein Erkennungsmal. Du trägst es immer mit dir. Wie Kain sein Mal auf der Stirn.
Der Gekreuzigte.
Seine Jünger werden ihn wiedersehen.
Und woran werden sie ihn erkennen?
An seinen Wundmalen.
Am Kopf.
Sie haben ihm eine Dornenkrone aufgepresst.
In den Händen und Füßen.
Sie haben ihn festgenagelt.
In der Seite.
Sie haben seine offene Flanke gefunden. Und hemmungslos drin rumgebohrt.
Die Wunden verheilen.
Doch der Schmerz? Die Erinnerung?
Die bleiben.
Nie wieder! Nie wieder möchtest du so etwas erleben.
Du wirst deine Wundmale verstecken.
Keiner soll sie sehen! Deine Freunde nicht und deine Feinde schon gar nicht.
Du versteckst deine Wunden.
Versteckst dich selbst. Willst nicht gesehen werden, nicht erkannt.
Verschwindest. Hinter der Maske.
Du denkst über die Wunden der anderen nach.
Siehst das Leid dieser Welt.
Denkst: „Ach, mir geht es doch gar nicht so schlecht – wenn ich an die Menschen in der Ukraine denke oder die Afrikaner, die auf Nussschalen versuchen, nach Europa zu kommen.“
Man muss immer nach unten schauen. Auf die, denen es wirklich schlecht geht. So ist das.
Ist das so?
Der Sohn Gottes versteckt seine Wunden nicht.
Er zeigt sie.
Seinen Vertrauten, seinen Freunden.
Und du?
Hast deine Wunden so gut versteckt, dass du sie selber nicht mehr siehst. Und wenn der alte Schmerz wieder aufbricht, wunderst du dich, wo er wohl herkommt.
Was haben sie dir für eine Dornenkrone in die Stirn gepresst?
Geflochten aus Vorurteilen und Denkverboten, aus „Das macht man nicht“ und „Das ist nun mal so.“
Und du?
Hast einen eleganten Hut aus deinen eigenen Gedanken, deinem Weltgebäude drüber gestülpt.
Die Narben darunter darf keiner sehen. Nicht mal du selbst.
Denkst in den Mustern, die sie dir eingeprägt haben.
Ist nun mal so.
Und sie haben dich auf deine Rolle festgenagelt.
„Hey! Du Weichei! Sei kein Mädchen!“
„Du läufst ja rum wie ein Kerl! So kriegst du nie einen ab!“
Und schon wusstest du, wo es langgeht. Und vor allem: Wo nicht.
„Aber das ist doch normal! Das geht doch allen so!“
Ja, so ist das. Nägel sind Massenware.
Aber das macht es nicht besser.
Und wie oft haben sie deine schwache Seite gesucht und gefunden – drin rumgebohrt, schon in der Schule, schon in der 1. Klasse. Kinder sind grausam.
Die Wunden sind da. Gut verborgen unter den Schichten deiner Jahre. So gut, dass du sie selbst kaum noch siehst.
Was kannst du tun?
Jesus ist sich seiner Wunden bewusst.
Und zeigt sie seinen Freunden.
Sie erkennen ihn an seinen Wunden. Sie gehören dazu. Machen ihn zum Sohn Gottes, zum Menschensohn.
Schau auf deine Wunden. Schäm dich nicht für sie.
Und immer wenn du denkst: „Das ist nun mal so!“ dann sei dir bewusst: Du hast den Hammer schon in der Hand und nagelst einen anderen fest auf das Gerüst, das du für das Leben hältst.
„Das ist nun mal so.“
*
Doch es ist nicht nur die Scham. Es gibt noch einen Grund, warum du deine Wunden so sorgsam versteckst, warum du sie niemandem zeigen willst.
Du willst niemanden damit behelligen.
Du willst niemandem zur Last fallen.
„Ich will niemandem zur Last fallen.“
Wie oft hörst du diesen Satz. Wie oft sagst du ihn selbst:
„Ach lass mal. Geht schon.“
„Ich will niemandem zur Last fallen.“
Was für ein schrecklicher Satz. Und so unsinnig. Du kannst nicht leben, ohne anderen zur Last zu fallen. Du hast als Baby geschrien, wie alle Babys. Warst deinen Eltern eine absolute Last, hat ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Du warst ihre Last – und warst ihr Leben. Eines ist ohne das andere nicht denkbar.
Liebe ohne Last ist wie Leben ohne Liebe.
Keinem zur Last fallen?
Schau auf Jesus in Gethsemane.
Der will in dieser Nacht auf keinen Fall allein sein. Er will, dass seine Jünger mit ihm wachen und beten. Ja, wer will ihnen zur Last fallen, er braucht ihre Liebe.
Doch sie sind nicht da.
Schlafen ein.
Immer wieder.
„Ich will keinem zur Last fallen.“
Diesen Satz hörst du immer wieder – und denkst es womöglich selbst.
Diese Debatte ist ja allgegenwärtig:
„Wenn ich krank werde oder alt und dement – dann will ich vorgesorgt haben. Dann will ich selbstbestimmt in Würde abtreten. Dann will ich keinem zur Last fallen.“
„Ich will keinem zur Last fallen.“
Wenn du diesen Satz sagst, oder wenn du ihn hörst, dann ist Karfreitag:
Weil du nicht glaubst, dass du der Liebe zur Last fallen darfst.
Oder weil du schläfst und deine Liebe nicht zeigst.
Doch Karfreitag ist nicht das letzte Wort.
Du wirst erkannt. An deinen Wunden.
Und du wirst erkennen:
Die Last ist leicht – wenn sie von der Liebe getragen wird.

Ein Gedanke zu “Karfreitag

  1. Lieber Friedhelm
    ich danke Dir für diese schönen,
    nachdenklichen Gedanken zu Ostern und wünsche Dir und Deiner Familie ein liebevolles Osterfest.
    Angelika

    ( Du machst Dich rar in letzter Zeit, schade)

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