Schlagwort: Leben

"Erziehung"

„Übrigens ist es nach den neuesten Erkenntnissen auch überhaupt nicht so, dass Kinder Supermamas brauchen. Man muss die Kinder nicht die ganze Zeit mit Wissen füttern, man muss ihnen auch nicht sechs Sprachen beibringen. Das meiste von diesem Zeug hilf überhaupt nicht. Man muss einfach nur gut genug sein. Zugänglich, aufmerksam. Im Grunde das tun, was sich natürlich und richtig anfühlt. Was darüber hinausgeht, ist überflüssig. Eher als ständiger Unterricht hilft den Kindern sozialer Austausch.
Lassen Sie Ihre Kinder mit anderen spielen, bei Freunden übernachten, solche Dinge.
Das ist geistig wesentlich anspruchsvoller als sechs Stunden Geigenunterricht.
Unser Gehirn ist dazu gedacht, Beziehungen aufzubauen, man sollte Kindern nicht die Gelegenheit dazu verwehren.“

sagt der Journalist David Brooks in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von heute. Er hat das Buch „Das soziale Tier“ geschrieben – schon bestellt 😉

Warum ich meinen Hund mag…

Streunen. Kein Plan. Einfach mal so unterwegs. Sehen, was der Weg so hergibt. Spielen, wenn dir jemand nettes entgegen kommt. Ignorieren, wenn er blöd ist. An jeden Baum pinkeln. Prophylaktisch. Hemmungslos um Aufmerksamkeit betteln. Und um Futter. Einfach los preschen, wenn sich was ergibt. Voller Reue zurückkommen. Aber sei dir sicher: das nächste Mal gehe ich wieder ab. Der Arbeitsspeicher wird alle zehn Sekunden gelöscht. Dann fängt was Neues an. Kann stundenlang in der Gegend liegen. Ohne irgendwas. Und stundenlang laufen, wenn´s lohnt. Kann sich so was von freuen. Ist gern draußen.

Zuversicht II

Der Dichter Sten Nadolny schreibt:
„Wenn Dir die Zuversicht ausgeht, erfinde sie.“
Der Satz gefällt mir.

*

Als ich das einer Freundin erzähle, sagt sie:
„Weißt du was? Ich bin Profi im Erfinden von Zuversichten.
Aber irgendwann schlägt dir der Selbstbetrug gnadenlos ins Gesicht.“
Ich erschrecke.
Ja, zur Zuversicht gehört Verletzlichkeit.
Sonst verkommt sie zu diesem hemdsärmeligen, gnadenlosen Optimismus, der mich den ganzen Tag anschreit, aus dem Radio, im Fernsehen. Die drehen sogar den Ton höher, damit ich es auch bloß nicht überhöre:
„Wenn es dir schlecht geht, bist du selber schuld! Du musst doch bloß…“
*
Zuversicht.
Ein schönes, altmodisches Wort.
„Sehen“ steckt drin; und „sich auf die Zukunft freuen.“
Zuversicht ist leise.

*

Sie ist Profi im (er)finden von Zuversichten.
Und sie ist verletzlich.
Hoffentlich bleibt sie beides.

*

Heute Morgen im Garten leuchtet der erste Mohn.

Im Käfig

Beim Joggen steht plötzlich eine Frau auf dem Gehweg und bittet mich, anzuhalten.
Mitten auf dem Weg steht ein Vogelkäfig. Draußen fliegt ein gelber Wellensittig verzweifelt gegen die Käfigstangen.
Er findet den Eingang nicht.
„Ich habe ihn hier schon ein paar Tage rumfliegen sehen“ sagt die Frau. „Lange hätte er nicht mehr durchgehalten.“
Dann, endlich! Der Wellensichtig findet die Tür.
Er ist gerettet.
Im Käfig.

Ostern

Direkt unter dem Nistkasten hängt ein Spiegel.
Und die Meise?
Sie fliegt hektisch hoch und runter, ist völlig irritiert, weiß nicht, was sie von ihrem Spiegelbild halten soll.
Der Eingang zu ihrem Nest liegt direkt vor ihr. Sie schaut kurz rein, kommt wieder raus. Sie kann nicht rein! Muss erst ihren imaginären Feind erst besiegen!

Matthias Claudius dichtet:

„So sind wohl machen Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsere Augen sie nicht sehen.“

– So sind wohl Illusionen,
die immer in uns wohnen,
weil unsere Augen nur sie sehn.

Scheingefechte und Spiegelbilder, die uns kaputt machen.
Wann ist Ostern? Wenn diese Scheingefechte aufhören; wenn wir aufhören uns zu spiegeln in unseren Illusionen, Selbstbildern; dem, was wir für die einzige Wirklichkeit halten. Ja, wenn auch die Zweifel am Ende sind, ein Ende haben.
Bei der Meise ist es einfach. Ich habe den Spiegel umgedreht. Der Feind, der nie da war, ist verschwunden.
Bei mir ist das schon schwerer. Ich kehre immer wieder in mein Spiegelkabinett zurück…

Genieße!

 

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„Nimm dir Zeit, 
so lange dir welche bleibt.
Ganz egal, wozu du dich entschließt,
wer das Leben genießt, 
der kann kein Versager sein.“

Annett Louisan

Segelschiffe, Dampfer und das Leben…

„Ein Segelschiff ist dem Leben näher als ein Dampfer: Es reicht nicht zu wissen, wohin du willst, denn das Leben besteht wie der Kurs eines Segelschiffs fast nur aus Umwegen, für die mal Windstille und mal Sturm verantwortlich sind.“
schreibt Carsten Jensen in „Wir Ertrunkenen.“

Bleibt die Frage, ob wir unser Leben nicht immer stärker an das Dampfschiffideal anpassen.
Es muss immer unter Dampf stehen, immer gleichmäßig vor sich her stampfen, muss immer dasselbe Tempo haben, egal, wie das Wetter ist.
Es ist laut, du hörst immer dasselbe Wummern aus dem Bauch des Schiffes.
Und die Richtung soll immer dieselbe sein. Umwege verboten.
Was für ein trostloses Dasein.

Über die Hoffnung…

„Die Hoffnung kann wie ein Pflanze sein,
die sprießt und wächst
und den Menschen am Leben erhält,
aber auch wie eine Wunde,
die nicht heilen will.“
Carsten Jensen, Wir Ertrunkenen, S. 71

Nichts besitzen – alles haben

„Ich besitze nichts und habe alles“ schreibt Paulus.
Ich kenne dieses Gefühl:
als ich das erste Mal so richtig verliebt war, bei der Geburt unserer Söhne, auf meinem ersten Dreitausender, im Ziel beim Berlin Marathon.
Du besitzt nichts und hast alles.
Im Grunde ist das die Formel fürs glücklich sein.
Bei mir sind das immer nur kurze Momente.
Wenn ich Paulus richtig verstehe, dann sagt er: „das ist mein Grundgefühl.“
Geht das?
Und wenn das geht, dann will ich das auch…